Er sah fast aus wie James Dean: ein junges Jazz-Idol mit faszinierender Aura. Doch Drogen machten ihn zu einem Wrack. Mit Mitte fünfzig glich er einem uralten Mann. Tiefe Falten, verklebtes Haar, keine Vorderzähne. Sein Ende: besonders tragisch. Der Trompeter Chet Baker stürzte im Mai 1988 aus einem Hotelzimmerfenster und starb.
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Ein Jüngling mit Stupsnase, anschmiegsamer Haartolle und zarten Zügen. Und nicht zu vergessen: Augen voller anmutiger Traurigkeit. Eine Ausstrahlung von sanfter Melancholie - und dazu diese Töne: Der Trompeter Chesney H. Baker, genannt Chet, geboren am 23. Dezember 1929 in Yale, Oklahoma, war ein lebendes Gesamtkunstwerk. Er machte in den 1950er Jahren mit ungemein stilvollen Aufnahmen von der amerikanischen Westküste den damaligen Avantgarde-Stars aus New York wunderschöne Konkurrenz.
Bildquelle: imago/leemage Rein, klar, ohne Schnörkel war sein Ton. Die Kunst des Leisen. Des Feinen. Jazz klang nie schlanker, Melancholie nie eleganter. Und Schönheit kaum je beseelter. Durch diesen Ton und diese Ausdruckskraft wurde Chet Baker einer der bedeutendsten Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts. "Alles Überflüssige ist entfernt. Wir stehen vor makellosen Linien", sagte etwa der Pianist Michael Naura über Bakers Musik. Und das stimmte. Chet Baker beherrschte wie kein anderer die Kunst des Wesentlichen. Er wurde ein Star wie nur wenige Musiker der Jazzwelt. Und neben seinem Trompetenspiel wurde auch seine Gesangsstimme legendär. Leise, zerbrechlich, wie ein Hauch klang sie. Es war nicht viel Stimme - aber sie war besonders einprägsam. Und: Chet Baker konnte sie ebenso sicher einsetzen wie sein Instrument. Seine enorme Musikalität sorgte für ungemein sicher getroffene Töne. Wie im Schlaf konnte Baker Melodielinien entwerfen und aufblühen lassen. Einer, dem keine Mühe anzuhören war und der sich ohne Gerüst im Raum der Klänge orientierte. Er brauchte keine Akkordfolgen zu kennen, um ein Stück mitzuspielen; er sagte: wozu Akkorde, er kenne ja die Melodie.
Chesney H. Baker wurde bald zur Ikone eines gelassen-abgeklärten Jazz von edler Klangschönheit, genannt Cool Jazz. Doch diese Ikone war brüchig. Baker wurde schon früh heroinsüchtig und geriet so oft mit dem Gesetz in Konflikt wie kaum ein anderer Musiker. 1968 wurden ihm bei einer Schlägerei fast alle Vorderzähne ausgeschlagen. Er lebte von der Wohlfahrt, hatte Comebacks, kam hier und dort ins Gefängnis (von 1960 bis 1964 verbrachte er fast die Hälfte der Zeit eines damaligen Europa-Aufenthalts hinter Gittern) und überraschte doch immer wieder mit wunderbaren Aufnahmen. Schon mit Mitte vierzig sah Bakers Gesicht aus wie das eines uralten Mannes. Baker war eine zerfurchte Ruine, die zahnlos und glasig lächelte. Die Folge von jahrzehntelanger, schwerer Drogen-Abhängigkeit.
Der Kulturjournalist Werner Burkhardt beschrieb den späten Chet Baker in der "Süddeutschen Zeitung" besonders eindringlich: "Wenn er da war, ereignete sich ein kleines, einer großen Verletzlichkeit abgewonnenes Wunder: Das war in Hamburg, in der Fabrik und im 'Onkel Pö' wie überall. Ehe ich Töne höre, sehe ich das Bild. In sich versunken, ganz Konzentration und weit weg, auch von dem Häuflein, das ihn begleitete, hockt ein uraltes Kind auf einem Stuhl. Es hält sich an seiner Trompete fest, ihm ist nichts geblieben als seine Musik. Das spürt man, wenn Chet Baker traumverloren Trompete bläst, in seinen letzten Jahren mehr noch, wenn er singt." Von Burkhardt stammt auch die beste Beschreibung von Chet Bakers fast im Nichts verschwindender und doch so prägnanter Stimme: Sie war "der Geisterfaden, mit dem der Einsame die Einsamen an sich band".
Bakers Spiel spiegelte die ganze Tragik. In späten Aufnahmen hört man den Klang einer gebrochenen Jahrhundertgestalt. Wolfgang Sandner schilderte diese Gestalt in einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" so: "Bei einem seiner letzten Konzerte, in Frankfurt, wirkte Chet Baker wie jemand, der gerade mal hereinschaute, um sich selbst zu besuchen. Das Publikum nahm er nicht mehr wahr, auch seine Musiker nicht. Und die Trompete hielt er, als wiege sie hundertfünfzig Pfund."
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CHET BAKER - You'd Be So Nice To Come Home To
Zwei Wochen vor seinem Tod, am 28. April 1988 im Funkhaus Hannover, entstand dennoch eine Aufnahme, die Baker in seiner ganzen musikalischen Größe abbildet ("My Favourite Songs – The Last Great Concert", enja records). Baker war wieder einmal viel zu spät zum Aufnahmeort erschienen, der Pförtner hätte ihn - der mit ungepflegtem Haar, seinen tiefen Furchen im Gesicht und einem zahnlosen Mund das Aussehen eines Stadtstreichers hatte - beinahe wieder hinausgeschickt. Eine Probe konnte nicht mehr stattfinden. Heikel bei Aufnahmen mit einer ganzen Big Band und noch dazu einer Streicherbesetzung. Doch wie traumwandlerisch fand Chet Baker in diesen Stücken zu sich, spielte sein Paradestück "My funny Valentine" mit so eindringlich zartem Trompetenton, dass bereits die allerersten Sekunden von insgesamt 19 Minuten dieses Stücks sofort fesseln. Und er sang dann mit ungemein anrührender Stimme auch den Text dieses Lieds, das mit anmutiger Melodie ein Gegenüber preist, an dem nichts und deshalb alles perfekt ist. Ein schöneres Vermächtnis als dieses und einige andere Stücke (wie Miles Davis‘ "All blues" und Gershwins "Summertime") unter der Leitung von Dieter Glawischnig hätte Baker seinen Fans gar nicht hinterlassen können.
Nur zwei Wochen später also, am 13. Mai 1988, verunglückte dieser Musiker tödlich, als er aus einem Hotelzimmerfenster in Amsterdam stürzte. Im Hotelzimmer seien Spuren von Heroin-Konsum gefunden worden, berichtete die Presse und mutmaßte, dass Baker unter Drogeneinfluss die Kontrolle über sich verloren hatte. Auch Jahre später konnte über das Geschehene nur spekuliert werden: "Vielleicht wollte er nur das Fenster öffnen, wobei sich der Sicherheitsbügel löste. Er stürzte nach unten und hatte den Bügel noch in der Hand", war elf Jahre nach Bakers Tod in der überregionalen niederländischen Zeitung "Algemeen Dagblad" zu lesen, die damals, 1999, über die Anbringung einer Gedenkplatte für den Musiker an der Außenwand des Prins Hendrik Hotels in Amsterdam berichtete, in dem das Unglück sich ereignet hatte. Am einem 13., der ein Freitag war, übrigens.
Bildquelle: Filmfest München Baker ist immer noch ein aktuelles Thema, auch fürs Kino. Der 2015 veröffentlichte Spielfilm "Born to be blue" von Regisseur Robert Budreau mit Ethan Hawke in der Hauptrolle ist ein starkes Psychogramm des Künstlers. Er zeigt, wie Baker nach einer schweren Krise wieder auf die Füße kommt, und profitiert nicht zuletzt von einem hervorragenden Hauptdarsteller. Ein besonders intensives Bild von Chet Baker zeichnete bereits eine 1988 erschienene Dokumentation: "Let’s get lost" von Regisseur Bruce Weber über die Spätphase von Bakers Leben. Die Trompetentöne, der ganz eigene Baker-Gesang und das echte, von den Ackerfurchen des Lebens durchzogene Gesicht Chet Bakers sind da aus nächster intimer Nähe zu studieren - und in einer wie traumwandlerischen Rezitation eines Songtextes, beiläufig in einem Gespräch, erfährt man da auch, wie tief verinnerlicht bei Baker das war, was er sang und spielte. Er war ein Ausnahme-Talent, dessen frühe Leichtigkeit und spätere Verlorenheit darüber hinweg täuschten, wie solide der musikalische Grund war, auf dem Baker sein faszinierendes Lebenswerk aufgebaut hatte.
Classic Sounds in Jazz am 9. Mai 2018
Almost blue: Mit Musik von Chet Baker, Jim Hall, Paul Desmond und anderen.
Moderation und Auswahl: Roland Spiegel
Classic Sounds in Jazz am 16. Mai 2018
Embraceable you: Mit Aufnahmen von Chet Baker, Eliane Elias, Sue Richardson und anderen.
Moderation und Auswahl: Beatrix Gillmann
radioJazznacht 19./20. Mai 2018
mit Marcus Woelfle: Zwischen Neuer Musik und Jazz - der Komponist, Saxophonist, Journalist Günter Buhles im Gespräch / "Tromba d’oro" - Chet Baker und Italien, ein Nachklang zum 30. Todestag
"Angelo" (Engel) oder "tromba d’oro" (Goldtrompete) nannte man Chet Baker in Italien, wo er zwischen 1956 bis 1988 oft auftrat und aufnahm. Doch in Italien, wo er nicht nur an Filmen mitwirkte, sondern wegen skandalträchtiger Drogenvergehen 15 Monate im Gefängnis von Lucca absaß, wurde er nicht nur gefeiert, sondern gerade auch wegen seiner Schwächen umsorgt. Der Pianist Enrico Pieranunzi, einer der vielen italienischen Weggefährten, brachte die Einstellung der Italiener auf den Punkt: "In Amerika war er nur ein Junkie, bei uns war er ein großer Künstler mit einem großen Problem."
Auswahl und Manuskript: Marcus A. Woelfle