Größtenteils erklang am 3. Oktober im Konzert "#1heit" Popmusik – aber nicht nur: Der Cellist Daniel Müller-Schott spielte auf der Bühne vor dem Brandenburger Tor Musik von Bach, im Andenken an seinen Lehrer Mstislaw Rostropowitsch, der 1989 den Fall der Berliner Mauer ebenfalls mit Bach gefeiert hatte. Im Interview spricht Müller-Schott darüber, wie nach seiner Erfahrung Bachs Musik auch jene Menschen berührt, die sonst zur Klassik keinen Bezug haben.
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BR-KLASSIK: Bei dem längst historischen Auftritt von Mstislaw Rostropowitsch im November 1989 vor dem Checkpoint Charlie waren Sie knapp 13 Jahre alt. Wie haben Sie überhaupt die ganzen Geschehnisse damals mitbekommen?
Daniel Müller-Schott: Die damalige Zeit war ja noch weit entfernt von unserer heutigen Medienwelt in der man alles irgendwie wahrnimmt und das hatte einfach noch ein ganz großes Gewicht. Ich kann mich erinnern, mit 13 Jahren habe ich das im Fernsehen gesehen, dass Rostropowitsch sich sofort nach Berlin begeben hat nachdem er die Tendenzen gespürt hatte, dass jetzt Großes passiert, die Grenzen sich öffnen. Und das hat auf mich sehr großen Eindruck gemacht. Ich kannte Rostropowitsch damals nur von seinen Plattenaufnahmen. Und ja, das hatte bei mir eine ganz große Wirkung hinterlassen.
BR-KLASSIK: Später, als sie bei ihm studierten, haben Sie da auch noch mal explizit über dieses Ereignis gesprochen oder war das dann schon passé?
Daniel Müller-Schott: Er hat vor allem erzählt, dass er selbst diese Zurückweisung eines Staates erlebt hat, dass er ausgewiesen wurde aus der Sowjetunion. Ich glaube, das war es auch, was ihn bewegt hat, sofort nach Berlin zu fahren. Was ich besonders gespürt habe in der Zeit, als ich beim Unterricht hatte: dass für ihn dieses Zusammenführen der Menschen, diese Offenheit ganz entscheidend waren, weil er am eigenen Leib durch die damalige politische Situation Repressalien erfahren musste. Ich habe mit ihm jetzt nicht speziell über Berlin gesprochen, aber seine diesbezügliche Geisteshaltung hat sich ganz unmittelbar mitgeteilt.
BR-KLASSIK: Diese Botschaft wollen Sie jetzt auch vermitteln. Wie schaffen Sie es denn, sich von dieser ja nicht zu leugnenden historischen Messlatte nicht einschüchtern zu lassen - dass das nicht eine Gefahr wird für ihr eigenes Spiel? Oder ist das einfach von mir als Laie ein bisschen zu hoch gehängt?
Daniel Müller-Schott | Bildquelle: © Uwe Arens Daniel Müller-Schott: Ich habe das als ganz große Ehre und Chance empfunden, als ich vom Siemens Art Program gefragt wurde, am Brandenburger Tor zu spielen. Natürlich kamen die ganzen Bilder der damaligen Zeit sofort wieder und ich dachte mir: Das ist eine unglaubliche Gelegenheit, so vielen Menschen an einem so historischen Ort die Musik von Bach zu vermitteln. Obwohl wir uns heute in einer anderen politischen Lage befinden, ist es, so finde ich, trotzdem ganz entscheidend, dass man immer wieder darauf hinweist, was damals passiert ist in der Zeit und wie großartig es ist, dass wir jetzt ein vereintes Deutschland sind. Und ich denke, da wird die Musik wieder Brücken bauen. Das habe ich als große Chance empfunden.
Das ist ein großes Geheimnis der Bach'schen Musik: Sie erreicht die Menschen.
BR-KLASSIK: Was meinen Sie: Würde das mit anderer Literatur auch gehen oder eignen sich Bach und dessen Solo-Suiten ganz besonders, weil man damit etwas ganz Spezielles erreichen kann?
Daniel Müller-Schott: Ich finde: ja. In den Bach-Suiten ist ja dieser große Kontrast. Diese visionäre Freiheit der Musik einerseits und die mathematische strenge Ordnung stehen eigentlich im Widerspruch - und irgendwie auch wieder nicht. Die Musik bringt das zusammen. Ich habe es immer wieder erlebt, wenn ich die Solo-Suiten von Bach spiele, dass auch Menschen, die noch nie von klassischer Musik gehört haben, unglaublich bewegt sind. Das ist ein großes Geheimnis der Bach'schen Musik: Sie erreicht die Menschen. Und sie eignet sich besonders auch für solche historischen Orte wie jetzt in Berlin. Ich glaube, das kommt wirklich an.
BR-KLASSIK: Sie sind der einzige Klassik-Act inmitten von lauter Pop-Auftritten. Stört Sie das? Spielen Sie da womöglich mit Verstärkung oder wie darf man sich das vorstellen?
Daniel Müller-Schott: Ich denke, da wird schon eine Verstärkung aufgebaut, weil sehr viele Menschen dort sein werden, und es gibt ja bei diesen Open-Air-Konzerten keine richtige Akustik. Ich habe das mal vor Jahren erlebt, da hat mich ein Veranstalter in Freiburg gefragt, ob ich mich trauen würde, eine Bach-Suite vor einem Metallica-Publikum zu spielen. Das waren 40.000 Menschen, die dann auch ziemlich erstaunt geschaut haben, als ich auf die Bühne gegangen bin und dann Bach gespielt habe. Ich bin da sozusagen kampferprobt und habe eben gemerkt, dass das die Leute erreicht. Damals bei dem Heavy-Metal-Publikum war es so, dass der Lautstärkepegel der Leute einfach immer weniger wurde und immer mehr Konzentration sich eingestellt hat und dass diese introspektive Seite von Bach das Publikum irgendwie in der Konzentration bündelt, und darauf hoffe ich jetzt auch jetzt in Berlin.
Sendung: "Leporello" am 02. Oktober 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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