In Taiwan hat das BR-Symphonieorchester ein besonders treues und begeistertes Publikum. Deshalb besucht es bei seiner diesjährigen Asientournee gleich drei Städte. Und erlebt dabei ein Land, das massiv in schicke Kulturbauten investiert, in die beneidenswert junge Klassikfans strömen – zumindest dann, wenn die Musiker aus Bayern kommen. Erste Station der Tour: der neue Saal in Kaohsiung.
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Zum Anhören: BRSO auf Asien-Tournee
Bernhard Neuhoff berichtet
Früher übte hier das Militär, jetzt schiebt sich ein gigantischer silberner Riegel mit futuristischen Schwüngen durch einen Park. Das National Kaohsiung Center for the Arts, das erst am 13. Oktober dieses Jahres eröffnet wurde, ist ein Kulturtanker der Superlative. 2009 wurde mit dem Bau begonnen, 2012 sollte er fertig sein. Es hat dann doch sechs Jahre länger gedauert, erzählt Wen-Pin Chien in seinem exzellenten Deutsch, und gut 300.000 Euro gekostet. In Düsseldorf war er lange Kapellmeister, nun ist er Intendant im größten Kulturzentrum seiner Heimat Taiwan.
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Vier Bühnen mit insgesamt rund 6.000 Plätzen stehen zur Verfügung, dazu ein in die Fassade eingebettetes Amphitheater für Open Air-Events. Gebaut wurde das Kulturzentrum nach Plänen des niederländischen Architekturbüros Mecanoo. Chien führt die Gäste aus Bayern stolz durch den riesigen Komplex und seine schier endlosen Foyers. Zur Eröffnung des Großen Konzertsaals mit seinen rund 2.000 Plätzen hat er dem Publikum in Kaohsiung, der drittgrößten Stadt Taiwans am Südzipfel der Insel, etwas Besonderes zu bieten: die Berliner Philharmoniker unter Gustavo Dudamel und das BR-Symphonieorchester unter Zubin Mehta. Zwei deutsche Spitzenorchester an zwei aufeinanderfolgenden Abenden, ein spektakulärer Auftakt für ein spektakuläres Gebäude. Dem aber erstmal gar nicht so viel folgt: Erst im Dezember gibt es wieder zwei weitere Konzerte im Großen Saal.
Geprobt wird zunächst in einem Nebenraum. Eigentlich wäre der Tag unmittelbar nach der 20-stündigen Reise frei gewesen für die Musiker. Doch trotz Jetlag sind alle froh, dass die zusätzliche Probe mit Einspringer Zubin Mehta stattfinden kann. Zwar hat das Orchester Strauss‘ "Heldenleben" bereits in der vorangegangenen Woche in München geprobt und aufgeführt, jedoch unter Simone Young. Die Dirigentin war ebenso wie Mehta kurzfristig für den erkrankten Chefdirigenten Mariss Jansons eingesprungen. "Als Mariss mich anrief", erzählt Mehta, "war ich sehr glücklich, dass ich Zeit hatte." Zufällig war eine geplante China-Tournee abgesagt worden, so konnte er umdisponieren. Doch dann zog sich Mehta, der sich gerade erst von einer schweren Krankheit erholt hat, vier Tage vor Beginn der Tournee eine Hüftverletzung zu. "Ich habe Schmerzen. Aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, Herrn Pont, dem Manager des Symphonieorchesters, jetzt auch noch abzusagen. Meine Ärzte sind damit gar nicht glücklich."
In die Probe kommt Mehta im Rollstuhl, auf die Bühne läuft er auf einen Stock gestützt zu seinem Drehstuhl. Aber wenn er dirigiert, wirkt er nicht nur hochkonzentriert, sondern (im Gegensatz zu seinen Ärzten) auch glücklich. "Heldenleben" mit nur zwei gemeinsamen Proben – das ist sportlich, aber mit einem Großmeister wie Mehta nicht nur möglich, sondern wirklich begeisternd. Mit seiner klaren Zeichensprache hält er die kompliziert gestrickte Musik zusammen. Und mit den wachen, warmherzigen Augen vermittelt er jedem Musiker bis an die hintersten Pulte das Gefühl, gemeinsam zu atmen. Die Kraft liegt bei Mehta in der Ruhe, ganz selbstverständlich richtet er die Energien auf sich aus, bündelt die überbordende Klangfülle und schafft Raum für die großen Gefühle.
Im Großen Saal wirkt das natürlich noch viel besser: Der ist fast rund, erinnert in seiner Weinberg-Form mit optimaler Sicht von allen Plätzen ein wenig an die neue Pariser Philharmonie und klingt ziemlich gut. Satt und kompakt ist die Akustik, fast ein wenig zu heftig: Da ist ziemlich viel Druck im Kessel, der Klang kann sich nicht genug entfalten. Umso heftiger entlädt sich die Begeisterung des Publikums. Schreien wie beim Popkonzert gehört in Taiwan einfach dazu.
Das liegt sicher auch daran, dass die Konzertbesucher in Taiwan erstaunlich jung sind. "Etwa zwei Drittel unseres Publikums ist jünger als 35 Jahre", erzählt Joyce Chiu. Sie ist Intendantin des nur zwei Jahre alten National Theater in Taichung, der zweitgrößten Stadt in der Mitte des Landes. Architektonisch ist es noch deutlich gelungener: ein biomorphes Wunderwerk des japanischen Stararchitekten Toyo Ito, voller Kurven, Höhlungen und überraschender Durchblicke. Mehr als vier Millionen Besucher hat das Gebäude seit der Eröffnung 2016 angezogen: "Es ist das neue Wahrzeichen von Taichung", sagt Chiu, "ja sogar von ganz Taiwan." Eine Art taiwanesische Elbphilharmonie. Allerdings gibt es hier keinen eigenen Konzertsaal, gespielt wird im Opernhaus, dessen staubtrockene Akustik für Symphoniekonzerte wenig geeignet ist.
Diese Sorgen möchten deutsche Konzertveranstalter haben: Joyce Chiu macht sich Gedanken, wie sie die Generation 60+ verstärkt ins Konzert locken kann. "Ich versuche, in diesem Gebäude einen eigenen Lebensstil zu kreieren, der auch Rentner anspricht. Schließlich ziehen viele Menschen im Ruhestand wegen des Wetters von Taipeh nach Taichung." In Taipeh, wo sie bis vor Kurzem Managerin des National Symphony Orchestra war, sei es ihr bereits gelungen, auch die Älteren anzusprechen.
Hier, in der Hauptstadt, hat die westliche Klassik naturgemäß das größte Publikum. Der Konzertsaal im Stil eines gigantischen chinesischen Tempels stammt aus den 80er Jahren und ist Teil des pompösen Tschiang-Kai-Shek-Memorials. Der Staatsgründer war nicht der erste, der die Klassik in Taiwan förderte: "Schon die portugiesischen Missionare brachten ihre Musik mit. Und dann waren es vor hundert Jahren die japanischen Besatzer, die uns mit westlicher Klassik konfrontierten." Trotzdem hatte die heute ältere Generation in ihrer Jugend noch vergleichsweise wenig Gelegenheit, die Musik von Schubert, Mozart und Strauss kennen zu lernen. Bei den jungen Taiwanesen ist dagegen die westliche Kultur in allen ihren Ausprägungen sehr populär.
Raymond Curfs beim Meisterkurs in Taipeh | Bildquelle: © Bernhard Neuhoff Vor dem ersten Konzert in Taipeh geben mehrere BR-Musiker Meisterkurse, darunter Solopaukist Raymond Curfs. Gut 50 junge taiwanesische Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger sitzen im Raum, die ältesten sind Mitte zwanzig. Alle lauschen gebannt, wie Curfs mit den Studenten an Klangfarben und Wirbel-Geschwindigkeiten arbeitet. Pi-Tzu Yang, Schlagzeugerin im National Symphony Orchestra, dem besten der sieben Profiorchester der Insel, dolmetscht. Und schwärmt: "Für uns sind die Berliner Philharmoniker und das BR-Symphonieorchester wie Götter. Meine Kollegen und ich lieben vor allem den Klang der Blechbläser. Das ist pures Gold. Aber Euer Orchester mag ich noch lieber!", sagt sie und lacht.
Am Abend gibt es dann auf dem Platz vor dem Konzertsaal bei angenehmen T-Shirt-Temperaturen eine Übertragung auf Großleinwand. Mehrere hundert meist junge Leute hören hier zu – manche sind zufällig auf dem Heimweg vorbeigekommen und hängen geblieben, andere studieren Musik und konnten sich kein Ticket leisten. Als dann nach dem Konzert alle Musiker und Zubin Mehta nach draußen kommen und dort den Fans zuwinken, wird wieder gejubelt und gejohlt. Die Moderatoren heizen zusätzlich ein – und nach der Dankesrede von Mehta skandieren alle gemeinsam auf Englisch: "We love you!"
Sendung: "Allegro" am 19. November 2018, 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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