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Lautes Fluchen, dann wird das Metronom vor Wut an die Wand geschmissen und der Klavierdeckel mit Wucht zugeknallt - diese und andere heftige Reaktionen wurden zuweilen durch Etüden von Carl Czerny ausgelöst. Am 21. Februar ist der 225. Geburtstag des Komponisten und Pianisten, der weit mehr zu bieten hat als seine Klavierschulen und seine Technik-Etüden.
Czerny ist ein Einzelkind. Sein Vater, ein Klavierpädagoge, vermittelt ihm schon früh die bürgerlichen Tugenden: Fleiß, Disziplin und Verzicht auf Bequemlichkeit. Als Kind ist er ein Einzelgänger, wohl auch, weil er "sorgfältig von andern Kindern entfernt und stets unter den Augen der Eltern" geblieben sei. Sein Vater gibt ihm Klavierstunden und trainiert mit ihm vor allem das Vom-Blatt-Spielen. Mit zehn wird er Schüler von Beethoven, später dessen Vertrauter und Freund. Für ihn führt er einige musikalische Arbeiten aus und gibt seine Erfahrungen und Kenntnisse von Beethovens Werken an die eigenen Schüler wie Franz Liszt weiter.
Czerny selbst hätte als Wunderkind glänzen können, aber "wenn ich von meinem Spiel hätte Vorteil ziehen sollen, so wären meine Eltern genötigt gewesen, mit mir Reisen zu unternehmen, wozu sie schon zu bejahrt waren; und obwohl ich im Spiel, im Avistalesen und selbst im Improvisieren für mein Alter ziemlich viel leistete, so war bei den damaligen so kriegerischen Zeiten an solche Unternehmungen nicht zu denken. Auch fehlte meinem Spiel stets jene brillante und wohlvorbereitete Charlatanerie, welche den reisenden Virtuosen meistens so nötig ist."
Bildquelle: picture-alliance/dpa Czerny tritt stattdessen in die Fußstapfen seines Vaters und wird einer der angesehensten Klavierlehrer in Wien, unterrichtet "beim höchsten Adel und in den ersten Familien Wien". Selbst Beethoven vertraut ihm seinen Neffen Karl als Schüler an. Abends und nachts komponiert Czerny nicht nur Klavieretüden und Klavierschulen für seine zahlreichen Schüler, sondern auch Klaviersonaten, Kammermusik, Sinfonien, Violinsonaten, Kirchenmusik, Streichquartette und Opernparaphrasen. Seine Kompositionen umfassen 861 Opusnummern, insgesamt hat er mehr als 2000 Werke komponiert!
Besonders beliebt sind in Wien und darüber hinaus seine Opernparaphrasen. Wegen der vielen Auftragsarbeiten komponiert er nicht nur an mehreren Werken gleichzeitig, sondern legt sich auch eine ganz eigene Kompositionsweise zu: bestimmte musikalische Bausteine stehen für einen bestimmten Ausdruck. Er setzt die Bausteine, eine Art musikalische Redewendungen, zusammen, komponiert die Übergänge, fertig. Solche Werke seien quasi Biedermeiermöbel in Musik, meint die Musikwissenschaftlerin Grete Wehmeyer. Durch die vielen Potpourries über beliebte Themen und die zahlreichen Opernparaphrasen ist Czerny in den Augen von Grete Wehmeyer so etwas wie eine Art "Musikreporter". Czerny bearbeitet alles, was damals populär ist und die Verleger reißen sich um seine Werke. Sein geheimer Wunsch, als ernsthafter Komponist wahrgenommen zu werden, erfüllt sich nicht.
Czerny bekommt 1836 den Auftrag, die Klavierwerke von Johann Sebastian Bach herauszugeben und zwar so, dass sie für Liebhaber spielbar waren. Der erste Band von insgesamt sechs Bänden erscheint bei Peters in Leipzig. Diese Edition wird noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von Pianisten benutzt. 1839 kommen bei Haslinger "Sämtliche Werke für das Piano-Forte von Domenico Scarlatti in der Bearbeitung von Carl Czerny" heraus. Schließlich verfasst er noch eine Art Lexikon, er nennt es einen "Umriss der ganzen Musik-Geschichte. Dargestellt in einem Verzeichniß der bedeutenderen Tonkünstler aller Zeiten, nach ihren Lebensjahren und mit Angabe ihrer Werke chronologisch geordnet,nach den Nationen und Epochen abgetheilt, den gleichzeitigen historischen Ereignissen zur Seite gestellt,und mit einem alphabetischen Namensregister versehen."
Czerny ist sehr gebildet. Er spricht deutsch, italienisch, französisch, englisch und tschechisch. Er besitzt eine große Bibliothek und interessiert sich für Geographie und Weltgeschichte. Den Einladungen von Liszt und Moscheles nach Paris oder England kommt er nicht nach, er reist nicht gerne. Sein Freundeskreis ist überschaubar, in Kaffeehäusern oder Gaststätten trifft man ihn ebenso wenig wie auf Gesellschaften. In seinen letzten Lebensjahren geht er gern vormittags in die Verlags-und Musikalienhandlung Spina, setzt sich an einen kleinen Tisch bei der Tür, liest Zeitung und unterhält sich mit den Kunden. Da er keine Familie hat, sehr bescheiden und zurückgezogen lebt und sehr viel arbeitet, verdient er viel Geld, gibt es aber nicht aus. Nach seinem Tod fällt sein Vermögen zu gleichen Teilen an das von ihm gegründete Pensionsversicherungsinstitut für Musiker, an die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, an das Wiener Blinden-und Taubstummeninstitut, sowie an zwei Klosterspitäler.
Carl Czerny
"Mehr Respekt vor dem tüchtigen Mann"
Autor: Otto Biba, Ingrid Fuchs
Verlag: Bärenreiter
und
Karl Czerny und die Einzelhaft am Klavier
oder
Die Kunst der Fingerfertigkeit und die industrielle Arbeitsideologie
Autor: Grete Wehmeyer
Verlag: Bärenreiter / Atlantis