Bildquelle: Bibliothèque nationale de France
Neben Manuel de Falla, Isaac Albéniz und Joaquin Turina war er einer jener vier glorreichen spanischen Nationalklassiker, die Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts ihrem Land wieder eine eigene, kraftvolle und authentische musikalische Stimme im Konzert der internationalen Musiknationen verliehen: Enrique Granados y Campina. Manche seiner Stücke sind bekannter und berühmter als sein Name: Die "Andaluza" überschriebene "Danza española" Nr. 5 beispielsweise gehört zum Repertoire aller Gitarristen - von Andres Segovia und Narciso Yepes bis zu Pepe Romero und Dale Kavanagh, das Intermezzo aus der Oper "Goyescas" zählt zu den beliebtesten orchestralen Lollipops, seit es Herbert von Karajan 1959 in seiner legendären Aufnahme mit dem Philharmonia Orchestra London via Schallplatte berühmt machte. Enrique Granados: Am 27. Juli 1867 wurde er geboren, am 24. März 1916 - dieser Tage vor genau 100 Jahren - ist er unter tragisch-spektakulären Umständen gestorben…
Spanien hat eine ähnliche wechselvolle Musikgeschichte wie England. Nach der großen Blütezeit im "Siglo de Oro" mit Koryphäen der Instrumentalmusik wie Antonio de Cabezón und Luis de Milan und Meistern der kunstvollen Vokalpolyphonie wie Cristobal de Morales und Tomás Luis de Victoria stagnierte die kompositionsgeschichtliche Entwicklung auf der iberischen Halbinsel. Im 18. und 19. Jahrhundert verkam Spanien regelrecht zu einer musikalischen Provinz Italiens. Bezeichnenderweise waren es zwei zugereiste Italiener, die seinerzeit die größten Komponisten in Spanien waren: Domenico Scarlatti und Luigi Boccherini. Bei gebürtigen spanischen Komponisten und einer eigenständigen spanischen Kunstmusik herrschte indes Fehlanzeige. Einzig die Zarzuela - eine spezifisch spanische Gattung des Unterhaltungsmusiktheaters, vergleichbar der zentraleuropäischen Operette - repräsentierte eine gewisse musikalisch-nationale Identität. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als sich in Russland, Böhmen und Skandinavien längst Nationale Schulen formiert hatten, änderte sich die Situation. Intellektueller Promoter der Neubesinnung auf ein eigenes spanisches musikalisches Selbstbewusstsein war der katalanische Komponist, Musikologe und Essayist Felipe Pedrell (1841-1922). Sein Konzept lag in der Kreation einer neuen, authentischen spanischen Kunstmusik auf der Basis der reichen Folklore des Landes, mit all ihren Jotas, Seguidillas und Fandangos. Kunstmusik aus dem Geist der Volksmusik - Musik, die eine nationale Visitenkarte vorlegt, so hieß die bündige Formel. Wie vorher Isaac Albéniz und später Manuel de Falla studierte auch Enrique Granados bei Felipe Pedrell.
Geboren wurde Granados 1867. Er gehört also der Generation von Debussy, Richard Strauss und Jean Sibelius an. Sein Geburtsort Lerida (heute Lleida) liegt in Katalonien, im äußersten Nordosten der iberischen Halbinsel. Die Mutter stammte von dort, der Vater war Kubaner. Ab 1874 erhielt Enrique Klavierunterricht. 1883 wurde er Schüler von Pedrell, der ihn in Komposition und alter spanischer Musikgeschichte unterrichtete. Nach weiterem Klavierstudium bei Charles de Bériot in Paris startete Granados von Barcelona aus eine Pianistenkarriere, die ihn mit eigenen Klavierkompositionen und als Chopin-Interpret in Spanien, Frankreich und in den USA bekannt machte. Später konzertierte er auch mit Jacques Thibaud, Pablo Casals und Camille Saint-Saëns.
Im Zentrum des kompositorischen Schaffens des Pianisten Granados stand naturgemäß die Klaviermusik. Die zwölf "Danzas españolas", zwischen 1892 und 1900 komponiert für Klavier zu vier Händen, sind von unverkennbarem spanischem Aroma, genauso wie die "Rapsodia aragonesa" und das "Capricho español" und die Sechs Stücke über spanische Volksweisen. Darüber hinaus komponierte Granados auch Orchesterwerke wie die Symphonischen Dichtungen "Divina Commedia" und "La Nit del Mort". Und Granados schrieb neben Liedern und anderer Vokalmusik auch Musiktheaterwerke: die Zarzuelas "Picarol" und "Follet" sowie die Opern "Maria del Carmen" und "Petrarca". Sein Klavier- und Bühnenschaffen kamen schließlich zu einer Synthese, als Granados den 1911 nach Bildern Francisco de Goyas entstandenen Klavierzyklus "Goyescas" zu einer szenischen Fassung bearbeitete und orchestrierte. Die Uraufführung am 28. Januar 1916 an der New Yorker Metropolitan Oper fand begeisterte Aufnahme. Auf der Rückfahrt von New York ereilte den Komponisten indes sein tragisches Schicksal. Die Kanalfähre "Sussex", auf der er eingeschifft war, wurde am 24. März 1916 im Ärmelkanal vor Dieppe von einem deutschen U-Boot torpediert. Das Schiff sank zwar nicht, aber etwa 50 Passagiere kamen ums Leben - darunter Enrique Granados und seine Ehefrau. Finis.