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Geheimbotschaft an Bertha Faber "Guten Abend, gut Nacht"

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Mittagsmusik extra

Deutsche Volkslieder - Guten Abend, gut Nacht

Musik und Text

Die Musik des berühmten "Wiegenlieds" ist von Johannes Brahms. Komponiert hat er das Lied im Sommer 1858 in Bonn, es ist zu finden als viertes Lied in den "Fünf Liedern für Singstimme mit Klavierbegleitung" op. 49.

Den Text zur ersten Strophe hat Brahms aus der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" genommen. Die zweite Strophe mit dem Christbaum und dem Paradies stammt von dem bayerischen Philologieprofessor und Volksliedsammler Georg Scherer. Er hat dieselben "Wunderhorn"-Verse einige Jahre vor Brahms in einer eigenen Kinderlieder-Sammlung vertont und dazu eine zweite Strophe gedichtet, die dann von dem Verleger Simrock auch ins Brahmssche "Wiegenlied" eingefügt worden ist.

Entstehungsgeschichte

Das "Wiegenlied" war ein Geschenk von Brahms an Arthur und Bertha Faber in Wien zur Geburt ihres zweiten Sohnes Hans im Jahr 1858. Brahms hatte Bertha Faber neun Jahre zuvor in Hamburg kennen gelernt, sie hatte dort einige Wochen in dem von ihm geleiteten Frauenchor gesungen.

Brahms schrieb an Bertha Faber, sie würde erstens sofort erkennen, dass er das Lied eigens für sie und ihren Kleinen geschrieben habe, und zweitens stelle er sich vor, sie würde zuhause das Wiegenlied ihrem kleinen Sohn vorsingen, während der Gatte sie am Klavier begleite und dabei "ein Liebeslied" murmle. Und sie würde das ganz in Ordnung finden. Eine seltsame Bemerkung. Die Lösung liegt in der Klavierstimme des Lieds. Sie enthält eine geheime Botschaft.

Brahms hatte in seiner Hamburger Zeit die hübsche Bertha offenbar ein wenig angegraben, und wir stellen uns vor, dass sie ihm ihren Korb auf mitfühlend musikalische weise gegeben hat, mit einem volkstümlichen Lied des Wiener Komponisten Alexander Baumann. Titel: "'s is anderscht", Textanfang: "Du moanst wohl, du moanst wohl, die Liab laßt si zwinga". Die Melodie des Lieds hat Brahms sich offenbar gemerkt, und in der rechten hand der Klavierbegleitung des "Wiegenlieds" spielt er melodisch und rhythmisch ganz eindeutig auf dieses Lied an. Kein Wunder, daß Brahms sich sicher war, daß seine alte Bekannte Bertha erkennen würde, daß er's eigens für sie komponiert hatte.

Mit Rosen bedacht, mit Näglein besteckt: Viele Leute fragen sich, was diese beiden rätselhaften Textzeilen wohl bedeuten mögen. Eine hervorragende Erklärung bietet Jürgen Schulz-Grobert, Professor für Mittelalterliche Philologie in Marburg. Er hat im Jahr 2004 einen Aufsatz geschrieben zu dem schönen Thema "Mittelalterliche Liebesbriefverse und ihre Aktualisierung in der Romantik". Darin hat Schulz-Grobert darauf aufmerksam gemacht, dass die beiden Blumenbilder "mit Rosen bedacht und mit Näglein besteckt" literarische Versatzstücke sind aus spätmittelalterlichen gereimten Liebesbriefen. Ein Beispiel:
"Gott gebe euch ein guete Nacht,
von Rosen ein Dach,
von Lilien ein Bett,
von Veilchen eine Deck,
von Muschkat ein Tür,
von Nägelein ein Rieglein dafür."
Dazu muss man noch wissen, dass man Gewürznelken damals wegen ihrer ätherischen Öle als Schutz vor Ungeziefer und Krankheiten eingesetzt hat. Ärzte hatten in Pestzeiten ganze Ketten aus Nelken um den Hals hängen. Die "Näglein als Riegel an der Tür" im Liebesbrief waren also der Wunsch, dass Krankheiten aus dem Zimmer des Geliebten draußenbleiben sollen.

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Das Manuskript zur Sendung

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