Sie schluchzt, sie weint, sie kann einen aber auch vor Freude einfach mal zum Tanzen bringen: Klezmermusik - das Thema der Woche in der Mittagsmusik.
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"Jede Volksmusik ist schön, aber von der jüdischen muss ich sagen, sie ist einzigartig! Sie ist so facettenreich, kann fröhlich erscheinen und in Wirklichkeit tief tragisch sein. Fast immer ist es ein Lachen durch Tränen", so beschreibt Dmitrij Schostakowitsch den Klezmer. Das Wort setzt sich aus den Begriffen "kley" (Instrument) und "zemer" (Melodie) zusammen.
Die Wurzel des Klezmer liegt in den osteuropäischen "Schtetl", Kleinstädten mit hohem jüdischen Bevölkerungsanteil, die im Spätmittelalter entstanden sind, als die Aschkenazim vor Progromen und Vertreibungen aus den jüdischen Gemeinden Mitteleuropas nach Osten flohen, nach Weißrussland, Litauen, Rumänien, Moldawien, der Ukraine und Polen. Dabei nahmen sie nicht nur ihr Hab und Gut, sondern auch ihre Tradition mit: das Musizieren bei Hochzeiten und anderen Festen, den geistlichen Gesang in den Synagogen und ihre typische jiddische Sprache.
Aus diesen Quellen speist sich der Klezmer, der im 18. und 19. Jahrhundert entstand. In der neuen Heimat passten sich die jüdischen Musiker den Gegebenheiten an und integrierten Volkslieder und Tänze der verschiedenen osteuropäischen Kulturen in ihre Musik. Diese Offenheit, dieses "über den Tellerrand schauen" ist ein Merkmal des Klezmer und hat mit zum Überleben dieser Musik beigetragen. Später, als zwischen 1884 und 1924 viele Osteuropäische Juden nach Amerika auswanderten und sich an der Lower East Side in New York ansiedelten, veränderte sich der Klezmer erneut.
Es entstand eine neue Klezmerszene, die zunächst durch Persönlichkeiten wie die Klarinettisten Naftule Brandwein und den "King of Klezmer" Dave Tarras geprägt waren, die den ursprünglichen Klezmer der osteuropäischen Juden fortführten und die ersten Schellack-Platten mit Klezmer-Musik aufnahmen. Dann veränderte sich der Klezmer in Amerika, er passte sich seiner neuen Umgebung, versuchte sich dem Jazz und dem Swing anzunähern, doch dieser Weg führte in die Sackgasse.
Giora Feidman | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ab den 1940er Jahren geriet die Klezmer-Musik in eine Nische, bekam in den 50er Jahren neuen Aufwind durch die aus Osteuropa kommenden chassidischen Juden. Als dann die Nachfahren der eingewanderten osteuropäischen Juden in den 60er Jahren die alten Schellack-Platten wieder herausholten und nach den Wurzeln, dem Ursprung des Klezmer forschten, feierte der Klezmer ein Revival.
In den 70er Jahren rückte Giora Feidmann den Klezmer wieder ins europäische Bewusstsein, indem er den Klezmer aus den traditionellen jüdischen Gegebenheiten herauslöste und ihn zu einer Art "Weltmusik" entwickelte. "Wenn ich mein Instrument in den Mund nehme, bin ich kein Jude, sondern trage eine spirituelle Botschaft vom Frieden in die Welt", sagt Feidman. Mit Giora Feidman wurde der Klezmer wieder "in". Heute setzt sich die Szene aus Gruppen zusammen, die entweder zu den Traditionalisten oder den Modernisierern gehören.
Die wichtigsten Klezmer-Instrumente sind das Tsimbl (Hackbrett), die Geige und die Klarinette. Üblich waren Kombinationen wie Geige, plus Bassinstrument wie Cello oder Kontrabass plus Tsimbal und Klarinette. Später kamen noch Baßtrommel und Becken und im 19. Jahrhundert auch einige Blechblasinstrumente wie Trompeten, Posaunen und Althörner sowie Querflöten hinzu. Die Größe der "Kapeljes" schwankte, mal musizierten fünf, mal musizierten vierzehn oder mehr Klezmorim zusammen.
Im Amerika der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts verdrängte die Klarinette die Geige als Melodieinstrument. Jetzt spielte die Klarinette und/oder das Saxophon die Melodien, mit dabei auch Trompete, Klavier und Schlagzeug. Heute findet man die unterschiedlichsten Besetzungen, bis hin zum Klezmer, der zusammen mit einem symphonischem Orchester gespielt wird, wie David Orlowsky mit seinem "symphonic Klezmer" zeigt.
Klezmer-Musik ist eng mit dem Gesang in den Synagogen verbunden und dem jüdischen Gesang im allgemeinen verbunden. Das berühmte "Schluchzen" in der Musik rührt daher. Zudem schwanken die Melodien meist zwischen Dur und Moll, denn sie basieren auf verschiedene Tonleitertypen, den "Gustn", die dem Musiker etliche Freiheiten lässt: es gibt eine Anzahl von Tönen, die erhöht oder erniedrigt werden dürfen, je Motiv und Melodie und Geschmack des Musikers.
Ein wesentliches Merkmal ist auch die freie Improvisation; die Melodien werden auf bestimmte Art phrasiert und mit Trillern, Pralltrillern, Nachschlägen, Glissandi, Portamenti etcetera verziert.
Das Wissen um die alten Melodien und ihre Verzierungen wurde früher mündlich weitergegeben, durch Vorspielen-Nachspielen. Erst im 19. Jahrhundert spielten einige Musiker nach Noten ("Bicher"): die Melodien waren notiert, sie waren mehr oder weniger eine Gedächtnisstütze. Die Verzierungen und Ausschmückungen wurden nicht niedergeschrieben.
Die Klezmermusik hat im Laufe der Zeit immer verschiedenste musikalische Einflüsse integriert, auch heute noch, dadurch ist die Klezmer-Szene bunt und vielfältig. In der Mittagsmusik stellen wir Ihnen eine kleine Auswahl von Klezmergruppen aus Deutschland vor, die Traditionelles bewahren aber auch über den Tellerrand schauen.
Yxalag | Bildquelle: Frank Jasper Yxalag heißt rückwärts gelesen "Galaxy" englisch für Galaxie . Darauf seien sie gekommen, weil sie nicht nur Klezmer und Weltmusik vereinen, sondern auch noch viele andere Einflüsse in ihrer Musik haben, erklärt der Klarinettist Jakob Lakner. Ihre Klezmer-Stil kennzeichne sich dadurch, "dass er Einflüsse aus unterschiedlichsten Kulturkreisen zusammenführt, ob klassische Fuge, Bossa, Tango, Swing, Musette, Balkan-Beat oder die Melancholie russischer Melodien. Sie vertrauen ihrem instinktiven Gefühl für Arrangements mit dem Ziel, Töne zu erschaffen, die die Seele zu berühren vermögen", heißt es auf ihrer Website. "Wir machen nicht nur Klezmer traditionell, sondern spielen alles Mögliche, machen was mit spanischer und türkischer Musik, ein bisschen klassische Musik und Jazz." sagt Jakob Lakner
Die Musiker von Yxalag kommen aus ganz Deutschland, der Posaunist aus Belgrad. Alle haben eine profunde musikalisches Ausbildung, denn sie haben in Lübeck, München, Berlin, New York und Trossingen Musik studiert oder studieren noch. Jakob Lakner, der Klarinettist, hat durch einen Film die Klezmer-Welt für sich entdeckt: nach "Schindlers Liste" hat er sich mit jüdischer Geschichte beschäftigt und sich durch zig Giora Feidmann CDs gehört. Sie alle mögen Klezmer wegen der Leidenschaft, der Melancholie, der Spielfreude und der Lust am Improvisieren. Gemeinsam feilen sie an neuen Interpretationen der traditionellen Klezmerstücke und spielen auch Werke, die Jakob Lakner für Yxalag schreibt.
Die Münchnerin hat sich als Sängerin auf jiddische Musik spezialisiert. Gleichzeitig schlägt ihr Herz aber auch für die bayerische Volksmusik, das Ergebnis: 2013 kam die CD "Alpen Klezmer" auf den Markt. "Darauf sind Lieder, die aus der bayerischen Kultur in die jiddische Kultur oder umgekehrt gewandert sind, zu einer Zeit, als Juden und Bayern gemeinsam im süddeutschen Raum lebten." sagt Andrea Pancur.
Doch nicht nur gemeinsames Liedgut werde vorgestellt, ihr war es auch ein Bedürfnis "den gemeinsamen roten Faden aufzugreifen, daran weiterzuspinnen und das Repertoire sowohl der jiddischen als auch der bayerischen Musik zu erweitern." Alan Bern, Direktor des Yiddish Summer Weimar, beschreibt diese Idee als "ein mutiges, liebevolles und zuweilen auch verrücktes Projekt, das mit allen Tabus bricht, alle Klischees über Bord wirft und sie dabei wild durcheinanderwirbelt." Für diesen Mut wurden Andrea Pancur und Ilya Shneyveys mit dem Deutschen Weltmusikpreis 2014 ausgezeichnet.
Bildquelle: Ensemble Noisten "Klezmer-Musik ist osteuropäische jüdische Tanz und Hochzeitsmusik. Klezmer-Musik ist vor allem Ausdruck tiefempfundener Religiosität und überschwenglicher Lebensfreude. Für das Ensemble Noisten ist sie Basis eines musikalischen Spiels", heißt es auf ihrer Website. Das Ensemble Noisten mischt Flamencomusik, tamilische und türkische Musik, Klassik und Jazz mit Klezmer. Bis auf den Percussionisten haben alle an der Kölner Musikhochschule Klarinette, Kontrabass oder Gitarre studiert. Auf der CD "Klezmer trifft Derwisch" haben sie Klezmer-Musik mit Sufimusik verbunden und sich dazu einen Flötisten ins Boot geholt, der sowohl mit der Ney (Flöte, die in der arabischen, persischen und türkischen Musik benutzt wird), als auch mit der Sufimusik vertraut ist. Auch bei der CD "Curry auf Oliven" hört man traditionelle Klezmermusik, eigene Kompositionen und fremdartige Instrumente, wie die griechische Bouzouki (Laute), afrikanische Djembe, indische Tabla und andere. Klezmer, der in Richtung Weltmusik geht.
Bildquelle: Manuel Miethe "Der Klezmer ist zu mir gekommen. Ich habe ihn kennen gelernt ohne dass ich wusste, dass das Klezmer ist, auf einer Folk-Session. Ich selbst habe Irish Folk gespielt und für mich kam das sehr überraschend, neue Melodien, von denen ich überhaupt nicht mehr lassen wollte", sagt der Geiger Johannes Paul Gäßer. Er spielt noch bei anderen Ensembles mit wie z. B. dem "modern klezmer quartet" und auch die anderen Musiker von Sher on a Shier sind noch in anderen Formationen aktiv.
Sher on a Shier heißt soviel wie "der nicht endende Tanz“. Die Gruppe ist fasziniert vom Klang der alten osteuropäischen Klezmerkapellen und möchten dem authentischen Klezmerklang so nah wie möglich kommen. Ihre Besetzung ist trotzdem nicht durchgehend traditionell, denn neben Geige, Klarinette Kontrabass und Flöte, gehört auch das Akkordeon mit dazu. Die vier Musiker kommen aus Augsburg, Berlin, Dornholzhausen und Erfurt und arrangieren sich traditionelle Klezmermusik für ihre Besetzung.
Die Klezmeyers sind ein Berliner Trio. Die Klarinettistin Franziska Orso gründete 1997 das Trio, nachdem sie einen Kurs bei Giora Feidman besucht hatte. Zusammen mit dem Jazzgitarristen Robert Keßler und dem Jazz-Kontrabassisten David Hagen macht sie Klezmermusik, die Elemente aus Flamencco, Tango, Jazz und arabische Rhythmen integriert. Die drei Musiker haben an der Universität der Künste Berlin, der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin und der Universität Mainz studiert. "Emilias Lächeln" ist ihre vierte CD, die vor kurzem erschienen ist.
Bildquelle: Uwe Arens Der Klarinettist kam durch Giora Feidman zum Klezmer, nachdem er ihn als kleiner Junge in einem Konzert gehört hat. "Ich wusste damals weder etwas über Klezmer noch dass er einen jüdischen Ursprung hat." Obwohl ihn die Musik fasziniert hatte, studierte er zunächst klassische Klarinette, eher zusammen mit dem klassischen Gitarristen Jens-Uwe Popp und dem Jazz-Kontrabassisten Florian Dohrmann 1997 das "David Orlowsky Trio" gründete, mit dem er „Weltkammermusik“ mache, sagt Orlofsky. Der Klezmer sei der rote Faden. Dafür haben sie auch schon mehrmals den Echo Klassik bekommen, zuletzt in diesem Jahr. Mit dem Münchner Rundfunkorchester haben Sie "Symphonic Klezmer" gespielt.