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Mit links! Klaviermusik für die linke Hand

Warum bürdet sich ein Pianist die spieltechnische Schwierigkeit auf, die 88 Tasten seiner Klaviatur nur mit seiner linken Hand zu bearbeiten? Warum die rauschenden Arpeggien, die reichen Akkordfolgen und die polyphone Mehrstimmigkeit der Klaviermusik mit nur fünf Fingern produzieren?

Paul Wittgenstein  | Bildquelle: SZ-Archiv; Montage: BR

Bildquelle: SZ-Archiv; Montage: BR

Die Klavierliteratur für die linke Hand hat eine Tradition, die bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Die Virtuosen und Pädagogen versuchten die technischen Möglichkeiten des Klavierspiels immer weiter zu treiben. Dazu gehörte auch der Versuch nur mit der linken Hand (die ja sonst in der Regel für die Bassarbeit und die tiefen Register im Notentext zuständig ist) einen vollgriffigen Klaviersatz zu erzeugen.

Die Zuhörer also mit virtuoser Technik zu verblüffen und mit nur einer Hand das zu schaffen, was viele kaum mit zwei Händen bewältigen. Dahinter stand natürlich auch der pädagogische Gedanke die Geläufigkeit und Unabhängigkeit der linken Hand zu trainieren. In diesem Sinne ist etwa die Bearbeitung der berühmten "Chaconne" aus Bachs 2. Violinpartita von Johannes Brahms zu verstehen. Auch diverse Studien und Etüden von Raff, Rheinberger oder Alkan zielen in diese Richtung.

Der Komponist Alexander Skrjabin. Zeichnung, 1909, von Leonid Pasternak. | Bildquelle: BR Der Komponist Alexander Skrjabin | Bildquelle: BR Neben der technischen Herausforderung hat das Klavierspiel nur mit der linken Hand aber auch einen handfesten, dramatischen Hintergrund: Verletzungen oder Erkrankungen, die Pianisten dazu zwangen auf das einhändige Spiel umzusteigen. Camille Saint-Saens widmete beispielsweise einer befreundeten Pianistin, Caroline de Serres, eine Sammlung von Stücken für die linke Hand (op.135). Nach einer Operation ihrer rechten Hand wollte sie aufs Spielen und Üben nicht verzichten und verband das Ärgerliche mit dem Nützlichen.

Auch Alexander Skrjabin komponierte sich ein Werk für die linke Hand, nachdem er sich durch exzessives Üben seine rechte Hand zweitweise ruiniert hatte. Sein "Prelude und Nocturne op.9" wurde im Nachhinein sogar ein richtig großer Erfolg. 

Die wichtigste Persönlichkeit war in diesem Zusammenhang der Pianist Paul Wittgenstein. Er verlor im 1. Weltkrieg seinen rechten Arm, dachte aber gar nicht daran seine Karriere zu beenden, sondern beauftragte viele Komponisten Werke für sein spezielles "Handicap" zu schreiben. Die großen Klavierkonzerte für die linke Hand von Ravel, Britten, Prokofjew oder Strauss entstanden alle für ihn – auch wenn er sie nicht alle aufgeführt hat. So lehnte er beispielsweise Prokofjews Werk mit den Worten ab: "Ich danke ihnen für das Konzert, aber ich verstehe darin keine einige Note und werde es deshalb niemals spielen."

So schwierig Wittgenstein als Interpret gewesen sein mag (auch Ravel hatte mit ihm Probleme), so bedeutend war er mit seinem Engagement für die Erweiterung des linkshändigen Klavierrepertoires, nicht zuletzt durch seine eigenen Bearbeitungen.

An die 1100 Kompositionen für die linke Hand allein gibt es, darunter mehr als 50 Klavierkonzerte.

Im Programm der Mittagsmusik finden Sie davon:

  • Alexander Skrjabin  - "Nocturne Des-Dur" op. 9/2
  • Camille Saint-Saens  - "Bouree" aus "Six Etudes pour la main gauche seule" op. 135
  • Felix Blumenfeld – "Etüde As-Dur" für die linke Hand, op. 36
  • Leopold Godowsky – "Sinfonische Metamorphosen über Themen aus dem Zigeunerbaron von J. Strauß" für die linke Hand
  • Felix Mendelssohn Bartholdy (arr. Wittgenstein) "Lied ohne Worte B-Dur" op. 67/3 für die linke Hand

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