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Royal Opera House London Bratschist gewinnt Hörschaden-Prozess

Im Februar verklagte ein Bratschist seinen früheren Arbeitgeber, das Royal Opera House in London, auf umgerechnet 850.000 Euro. Grund war ein Hörschaden, den er bei einer Wagner-Probe erlitt - daraufhin konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben. Der High Court in London hat nun in seinem Sinne entschieden. Das Opernhaus nennt das Urteil "enttäuschend".

Königliche Gerichtshöfe London | Bildquelle: picture alliance / dpa

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Im Jahr 2012 erlitt Bratschist Christopher Goldscheider bei Proben zur Wagner-Oper "Die Walküre" laut seinem Anwalt ein Schalltrauma. Grund war die sehr laute Bläsergruppe, die hinter den Streichern positioniert war. Messgeräte haben damals einen Schalldruckpegel von 91 - 130 Dezibel gemessen - Werte, wie sie mit dem Lärm eines Düsenjet verglichen werden. Goldscheider musste daraufhin seinen Beruf aufgeben und war auch im Alltag durch den Gehörschaden erheblich eingeschränkt. Der Bratschist klagte gegen das Opernhaus.

"Morbus Menière"

Der Londoner High Court hat dem Bratschisten im Prozess nun recht gegeben. Laut BBC argumentierte das Royal Opera House im Verfahren, dass Goldscheiders Hörschaden Resultat der Krankheit "Morbus Menière" sei, die während der Probe ausgebrochen sei. "Morbus Menière" äußert sich unter anderem durch Hörverlust und Tinnitus. Goldscheider sei außerdem mit einem Gehörschutz ausgestattet worden, und das Haus sei so weit gegangen, wie ein verantwortungsvoller Arbeitgeber nur gehen könne, um die Lautstärke-Belastung zu reduzieren. Die Richterin folgte der Argumentation des ROH nicht und wollte nicht an den zufälligen Ausbruch der Krankheit während der Probe glauben. Ihr war wichtig festzustellen, dass der Schutz des Gesetzes für Musiker genauso gelte wie für jeden anderen Arbeitnehmer.

Das ist ein fantastischer Moment, dass meine Verletzung anerkannt wird.
Christopher Goldscheider, Bratschist

Entscheidung mit Tragweite

Gebäude der Oper London - Covent Garden | Bildquelle: wikimedia Das Royal Opera House in Covent Garden. | Bildquelle: wikimedia Erfreut über das Urteil zeigte sich Christopher Goldscheider. Er hoffe, dass die Entscheidung des High Courts in Zukunft Hörschäden bei Musikern infolge von zu hoher Lautstärke im Orchester verhindern könne. Auch der Anwalt des Bratschisten, Chris Fry sprach von der großen Bedeutung dieses Falls. Diese Entscheidung werde das gesamte Musikbusiness aufrütteln. Man habe sich von den in allen anderen Branchen geltenden gesetzlichen Auflagen befreit gefühlt, mit dem Hinweis auf die "künsterische Natur" des Arbeitsumfeldes.

Kunst versus Industrie

Das Royal Opera House zeigte sich vom Urteil "überrascht und enttäuscht". Man glaube nicht, dass Lärmvorschriften in einer künstlerischen Institution in gleicher Weise gelten könnten wie etwa in einer Fabrik, da der Klang kein Abfallprodukt eines industriellen Prozesses sei. Das Opernhaus behält sich vor, gegen das Urteil des High Courts in London in Berufung zu gehen.

Wir werden die Aufstellung des Orchesters, nach der die lauten Instrumente am hinteren Ende sitzen, nicht auf den Kopf stellen können
Nikolaus Pont, Intendant des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks

Restrisiko für Musiker

Nikolaus Pont, Intendant des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, ist überzeugt, dass es grundsätzlich die Aufgabe von jedem Arbeitgeber ist, den größtmöglichen Arbeitnehmerschutz zu gewährleisten. Aber trotz aller Schutzmaßnahmen, die in den Orchestern ohnenhin bestünden, gäbe es ein "Restrisiko für Menschen, die mit ihrem Gehör arbeiten. Das Risiko, dass das Gehörorgan im Laufe einer jahrelangen Orchestertätigkeit in Mitleidenschaft gezogen wird, können wir nicht ganz ausschließen."

Lautstärkeprävention in Orchestergräben verbessert

Für Gerald Mertens von der Deutschen Orchestervereinigung ist ein Gerichtsverfahren wie jenes in London auch in Deutschland vorstellbar - auch wenn Schmerzensgelder in Großbritannien oder der USA grundsätzlich viel höher ausfielen als in Deutschland. Gegenüber BR-KLASSIK sagt Mertens, dass seit Inkrafttreten der europäischen Lärmschutzbestimmungen und ihrer Umsetzung in das nationale Recht alle Arbeitgeber von Orchestern sehr viel sensibler geworden seien, da ihnen bei Verletzung und Überschreitung der einschlägigen Grenzwerte Bußgelder drohten - abgesehen von den zivilrechtlichen Ansprüchen, die ein Betroffener zusätzlich geltend machen könne. Bezüglich der Lautstärkeprävention in Orchestergräben sei in den vergangenen Jahren einiges geschehen, entweder durch Schallabsorber, Erweiterung von Orchestergräben, veränderte Orchesteraufstellungen oder die Anpassung individuellen Gehörsschutzes als letzte mögliche Maßnahme, so Mertens.

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