Bayreuther Festspiele
24. Juli - 27. August 2024
Bildquelle: Enrico Nawrath
Bayreuths neuer "Tristan"
Premierenkritik von Bernhard Neuhoff
Top oder Flop, jubeln oder verdammen - das macht Kritiken unterhaltsam. Es tut mir leid, aber bei dieser Tristan-Inszenierung von Katharina Wagner kann ich damit nicht dienen. Sie war, über weite Strecken, in Ordnung. Man kann das so machen. Das Festspielpublikum war zufrieden. Es gab, und das war eine echte Überraschung, keine Buhs fürs Regieteam. Und das, obwohl Katharina Wagner den Liebestod verweigert! Nachdem Isolde, wenigstens schauspielerisch stark dargestellt Evelyn Herlitzius, die letzten Töne ihres großen Schlussgesangs gesungen hat, wird sie von König Marke unsanft abgeführt. Und während Dirigent Christian Thielemann den Schlussakkord verklärt aufleuchten lässt, entlässt die Regisseurin ihr Publikum mit der düsteren Frage, ob der Tod für Isolde einem Leben an der Seite dieses Finsterlings nicht vorzuziehen wäre.
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Bildquelle: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Marke ist stark, und Marke ist böse. Das ist die Hauptidee. Wagners folie à deux, den Liebesirrsinn zu zweit, öffnet seine Urenkelin Katharina zum Beziehungsdreieck. Symbolschwanger bestimmt das Dreieck alle Bühnenräume. Im ersten Akt gelingt das am stärksten. Ein steiles Treppenlabyrinth, dreieckig aufgehängt zwischen Stangen und Brücken, lässt jeden Weg ins Leere führen: eine beklemmende Seelenarchitektur. Isolde begehrt Tristan von Anfang an. Der Liebestrank ist gar nicht nötig – das Paar führt ihn in Zeitlupe an den Mund, um ihn dann zu verschütten. Nichts Märchenhaftes soll dieser „Tristan“ haben. Und doch spielt er in keiner erkennbaren historischen Zeit, in keiner äußeren Wirklichkeit.
Im zweiten Akt stecken die Liebenden in einem dreieckigen Verlies. Auf den Mauern steht König Marke und kommandiert die Gefängniswärter. Mit Suchscheinwerfern überwachen sie das Liebespaar, das unter einer Decke Schutz und Dunkelheit sucht. Was ein starkes Bild hätte werden können, ist in der Personenregie glücklos umgesetzt. Manchmal wachsen wie im Science-Fiction-Film Metall-Ringe aus der Kerkerwand und sperren Kurwenal ein, der unverdrossen alberne Fluchtversuche unternimmt. Andere Ringe, am Boden aufgereiht, sehen, vermutlich unfreiwillig, wie Fahrradständer aus. Hochgeklappt erinnern sie an ein Klettergerüst. Die Liebenden stehen dann lange Viertelstunden singend am Gestänge. All das wirkt streckenweise irritierend unbeholfen. Stärker gerät wieder der dritte Akt. Der fiebernde Tristan tappt im Bühnennebel umher, in dem vorne, hinten, oben, unten Dreiecke aufleuchten, und immer steht Isolde drin – mal winkend, mal blutig, mal ins Leere stürzend, mal wie im Gruselkabinett ohne Kopf. Tristans Albtraum wird von König Markes senfgelber Truppe unsanft beendet: Tristans Männer werden ermordet, und dem Finsterling Marke fällt Isolde als wehrlose Beute zu. Eine düstere Pointe als starkes Schlussbild einer streckenweise unfertig wirkenden Regiearbeit. Prädikat: Mittel.
Top oder Flop – jubeln oder verdammen: Wenigstens musikalisch haben mich zwei Künstler wirklich begeistert. Der eine heißt Georg Zeppenfeld. Als Marke singt er mit düsterer, konzentrierter Kraft, psychologisch vielschichtig und emotional packend. Auch Christa Mayer als Brangäne gestaltet enorm differenziert, farbenreich und sprachlich durchgeformt, auch wenn ihr Timbre gewöhnungsbedürftig ist. Etwas pauschaler, aber insgesamt überzeugend steht ihr mit Iain Paterson ein zuverlässiger Kurwenal zur Seite.
Größten Respekt verdient Stephen Gould als Tristan. Klar, auch bei ihm merkt man im dritten Akt, dass diese Partie mörderisch schwer ist. Und doch: Bis zum Schluss bewältigt er sie präsent, ohne zu forcieren, mit warmer, ansprechender Stimme. Stephen Gould klingt fast immer gleich schön: Psychologische Abgründe werden dabei nicht unbedingt ausgelotet. Dankbar ist man so einem Tristan allemal. Problematisch dagegen Evelyn Herlitzius: Flackerndes Vibrato, Schärfen, wenig Modulation und Rundung im Piano – als Einspringerin hatte sie es hörbar nicht leicht.
Wirklich unter die Haut geht alles, was aus dem Orchestergraben tönt. Christian Thielemann zaubert mit allen Lockmitteln der Romantik. Dieser Dirigent ist ein Ausdrucksfanatiker. Jede Phrase spricht, jedes Zögern, jede Beschleunigung legt ein Gefühl frei. Was bei anderen Komponisten oft manieriert wirkt, klingt natürlich, wenn Thielemann Wagner dirigiert. Manchmal trägt er dick auf, weil Wagners Musik das so will. Nur, um gleich darauf wieder zu zarten Zwischentönen oder mitreißendem Furor zu finden. Dass ausgerechnet er nicht nur Jubel, sondern auch vereinzelte Buhs abbekam, wird Thielemann schmerzen. Ja, dieser hochinspirierte Dirigent polarisiert, als Mensch und als Künstler. An diesem Abend hat er größte Bewunderung verdient.