Geboren 1770 in Bonn, wurde Beethoven zum Vollender der Wiener Klassik – und zum Wegbereiter der Romantik. Das Zeitalter Napoleons war auch das seine, aber seine Werke haben die Zeit überdauert, allen voran die neun Sinfonien. "Die Fünfte" oder die Nr. 9 mit Schillers "Ode an die Freude" kennt nahezu jeder. Und jeder will wissen: Wer war die Unsterbliche Geliebte? Für wen entstand "Für Elise"? Warum ist Beethoven taub geworden? Seine Biografie bewegt also noch immer.
Mit dem Taufdatum am 17. Dezember 1770 beginnt Beethovens dokumentiertes Leben. Von oben betrachtet wirkt es übersichtlich: Aufgewachsen in Bonn, 1792 umgezogen nach Wien, dort gestorben 1827. Er lebte also in einer Zeit der größten Umbrüche: von der französischen Revolution über die Napoleonischen Kriege bis in die Restauration. Nicht zuletzt deshalb war Beethovens Leben doch kompliziert und bewegt. In der ersten großen Biografie von A. W. Thayer umfasst es fünf dicke Bände. Aber es geht auch kürzer.
Über Beethovens Vater, Sänger und Musiklehrer, informieren die Erinnerungen des Bäckermeisters Theodor Fischer. Da heißt es: "Er war ein guter Weintrinker, dann war er munter und fröhlich." Weniger Spaß verstand er allerdings in Sachen Musik. Wenn der kleine Ludwig etwas improvisieren wollte: "Was sprutels du da nun wider, geh wäg, sonst geb ich dir Ohrfeige!" Sein Wunderkind sollte Geld machen, nicht Kunst. Mit dreizehn wurde Ludwig an der Bonner Hofkapelle angestellt, mit achtzehn musste er für die Familie sorgen. Der "Weintrinker" war dazu nicht mehr in der Lage.
Maximilian Franz von Österreich, Bruder von Kaiser Joseph II., war Mozart-Fan. 1784 kam er als neuer Kurfürst nach Bonn, und damit auch die Musik Mozarts, die in Deutschland sonst kaum bekannt war. Der junge Beethoven hatte nun ein großes Vorbild, dem er sogleich nacheiferte. Zum Studieren durfte er nach Wien. Man hoffte, er würde als eine Art "zweiter Mozart" zurückkehren. Und als der erste tot war, sollte er eben "Mozarts Geist aus Haydns Händen" erhalten …
"Der armen leidenden Menschheit mit meiner Kunst zu dienen", war Beethovens Wunsch seit seiner Kindheit. Früh hat sich Ideale angeeignet, literarische Bildung und hohe moralische Werte. Vielleicht auch, um sich von seinem Vater abzusetzen. Das liberale, aufgeklärte Klima in Bonn war sehr gedeihlich. Hier wurde sogar über Kant doziert und die französische Revolution diskutiert.
Mit Haydn soll Beethoven nicht so gut ausgekommen sein. Immerhin hat er ihn zu Kaffee und Schokolade eingeladen, obwohl Haydn seinen Unterricht eher lustlos gab. Dafür hat Beethoven aus seiner Musik alles über die Verabeitung motivischer Bausteine gelernt.
1794 marschierten die Franzosen in Bonn ein. Mit dem kurfürstlichen Hof war es aus. Nicht zuletzt deswegen blieb Beethoven in Wien. Fürst Lichnowsky gab ihm Unterschlupf und unterstützte ihn finanziell. Die Startbedingungen für eine Karriere als freier Künstler waren gut. Allerdings: "Nun soll ich täglich um halb 4 Uhr zu Hause sein, mich etwas besser anziehen, für den Bart sorgen usw. Das halte ich nicht aus!" Seine Freiheit ging Beethoven über alles. Als Lichnowsky ihm einmal befahl, für französische Offiziere zu spielen, riskierte er lieber den Eklat: "Fürsten gibt es Tausende - Beethoven gibt's nur einen!"
Beethoven machte zunächst Furore als genialer Improvisator. Sein Klavierspiel, so ein Ohrenzeuge, "zersprengt alle beengenden Fesseln". Wer würde nicht gerne so spielen können? So erfreuten sich seine bald veröffentlichten Sonaten großen Erfolgs. Mit der "Pathetique" etwa konnte man auf jeder Party punkten. 1800 rissen sich die Musikverlage um Beethovens Musik: "ich fordere und man zahlt". Seine Karriere trieb Beethoven strategisch voran. Ein genialer Coup war sein erstes selbst veranstaltetes Konzert am 2. April 1800 im Hofburgtheater. Das Programm mit Mozart, Haydn und Beethoven krönte er mit seiner 1. Symphonie. Er präsentierte sich als Klassiker der Zukunft.
"Gewiss keine von allen jemals bekannt gemachten Sinfonien", schrieb ein Kritiker, "sei so kolossal und kraftvoll, so tief und kunstreich wie die Zweite von Beethoven." Der legte mit der noch kolossaleren Dritten nach und erstaunte mit jedem weiteren Werk von neuem. Während Haydn seine letzten Symphonien noch im Sixpack lieferte, ist bei Beethoven jede Symphonie ein absolutes Einzelstück, eine Welt für sich, ein Ereignis. Treibende Energie, dramatische Konflikte, aber auch tiefe, erfüllte Ruhe, kauziger Humor und dann diese hoch tönenden Hymnen: Für manche Leute sind Werke wie die Eroica oder "die Fünfte" mehr als "nur" Musik, für andere verkörpern sie die Macht der reinen Musik. Beethoven selbst hatte selten Gelegenheit, neue Werke vorzustellen. So packte er am 22. Dezember 1808 die Fünfte und Sechste nebst anderen gewichtigen Werken in ein vierstündiges Konzert in einem unbeheizten Theater. Das war dann selbst für aufgeschlossene Besucher "des Starken zu viel".
Beethovens Musik galt als neuartig, interessant, bewunderungswürdig – aber schwierig. Manche Werke, so hieß es, versteht man erst nach mehrmaligem Hören. Wertkonservativen Zeitgenossen war schon einmal zu viel. Ein Kritiker fand "des Grellen und Bizzarren allzu viel", ein anderer hörte nur noch "wirklich gräßliche Harmonie". Angeblich verstieß Beethoven gegen das Schönheitsideal der Natürlichkeit. Noch 1828 wurde die 2. Symphonie "ein krasses Ungeheuer" genannt. Den späten Sonaten und Quartetten konnten nur noch Wenige folgen, die "Große Fuge" empfand ein Kritiker so "unverständlich wie Chinesisch". Für Beethoven waren derlei Anwürfe nicht mehr als "Mückenstiche": lästig, aber vorübergehend. Er beharrte darauf: "Wahre Kunst ist eigensinnig, lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwingen."
Schon 1797 bemerkte Beethoven die fortschreitende Schwerhörigkeit. Hohe Töne aus der Ferne hörte er 1801 nicht mehr, dazu quälten ihn Tinnitus und Hyperakusis. 1808 konnte er noch öffentlich konzertieren. 1813 dirigiert er die 7. Symphonie ohne die leisen Stellen zu hören. Ab 1814 benutzte er Hörrohre, 1818 die "Konversationshefte". Bei der Uraufführung der 9. Symphonie (1824) bemerkte er den tosenden Applaus nicht mehr. Am meisten litt Beethoven an der sozialen Isolation, beim Komponieren beeinträchtigte ihn die Schwerhörigkeit nicht. "Nur die Kunst", schrieb er im Heiligenstädter Testament (1802), halte ihn ab vor dem Selbstmord. Was auffällt, ist die zunehmende Kühnheit und Komplexität seiner Kunst ab 1801/02 ("Sturm-Sonate", Sinfonia eroica). Ist es da relevant, ob Flöhe (Flecktyphus) oder veränderte Knöchelchen (Otosklerose) die Ursache der Taubheit waren?
1795, so wird gemunkelt, habe Beethoven der Sängerin Magdalena Willmann einen Antrag gemacht, doch die fände ihn "häßlich und halb verrückt". Wirklich dokumentiert sind vage Heiratsabsichten erstmals Ende 1801: Ein "liebes zauberisches Mädchen", hinter dem sich wohl seine Klavierschülerin Giulietta Guicciardi verbirgt, könne ihn glücklich machen. Aber die sei nicht "von meinem Stande", und außerdem müsse er sich noch "wacker herumtummeln". Am Standesunterschied scheiterte 1807 auch die lange, komplexe Beziehung zur verwitweten Josephine Gräfin Deym (geb. Brunsvik). Sehnlichst wünschte sich Beethoven eine Familie. Nun sollte ein Freund ihm die Frau suchen – "schön muß sie aber sein, nichts nicht Schönes kann ich nicht lieben – sonst müßte ich mich selbst lieben!" 1810 fand sich die Kaufmannstocher Therese Malfatti. Beethoven hatte schon die Papiere für die Trauung, als er die Absage erhielt.
"Mein Engel, mein alles, mein Ich." So beginnt der mysteriöse Liebesbrief, der sich in Beethovens Nachlass fand. Keine Name, nur das Datum 6./7. Juli und der Bestimmungsort "K." sind genannt. Inhaltlich geht es um die schmerzliche Sehnsucht, "ganz vereint" miteinander zu leben. Wer war dieser Engel bzw. die "Unsterbliche Geliebte"? Die Fahnung läuft fieberhaft. Erwiesen ist nur: Im Juli 1812 schrieb Beethoven die Briefe von Teplitz nach Karlsbad, die Geliebte hatte er kurz zuvor in Prag getroffen. Aber alle bisherigen "Enthüllungen" sind Spekulation, bestenfalls gut geknüpfte Indizien-Ketten. Die meisten Kandidatinnen konnten aussortiert werden, im Rennen bleiben Josephine Brunsvik (jetzt Stackelberg) und Antonie Brentano, die Anfang Juli ebenfalls in Prag war. Bei Josephine ist das nicht nachweisbar, aber es regt die Phantasie an, dass sie neun Monate später ihre Tochter Minona bekam … Zum Beethovenjahr 2020 trägt der estnische Komponist Jüri Reinvere die Oper Minona bei.
Beethovens einzige Oper Fidelio, oder wie er sie zuerst nannte, Leonore war sein Schmerzenskind. Hier setzte er seine größten Ideale in Szene: Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit. Entstanden in der Zeit der ersten Beziehung mit Josephine, schwingt im Thema der Gattenliebe auch der eigene Ehewunsch mit. Die Uraufführung am 20. November 1805 war ein Fiasko. Gewöhnlich schreiben Komponisten dann einfach die nächste Oper, doch Beethoven hielt an Leonore fest. Er überarbeitete, kürzte, straffte. Diese Fassung traf es 1806 noch schlimmer. Nach zwei Vorstellungen zog er die Partitur zurück. Er wollte sie aufgrund mangelnder Proben nicht "verhunzen" lassen. Mit der dritten, nochmals verbesserten und auf den idealistischen Gehalt zugespitzte Fassung begann 1814 der Siegeszug von Fidelio. Weitere Opern, etwa ein Macbeth oder eine Melusine, kamen nicht über die Planung hinaus. Beethoven spürte wohl: die Symphonie war sein eigentliches Element, auf der Bühne hatte er alles gesagt.
Auf dem Flügel häufen sich Notenblätter und Staub, darunter steht ein voller Nachttopf, auf dem Tisch Frühstücksreste nebst halbleeren Weinflaschen, auf dem Boden große Pfützen von der Morgenwäsche: So berichten Besucher, und er selbst gab zu, sein Haushalt sei ein "Allegro di Confusione". Bekam er auch deswegen keine Ehefrau? Oder sollte sie Abhilfe schaffen? Als Beethoven 1818 seinen Neffen zu sich holte, bemühte er sich um mehr Ordnung. Putzlappen und brauchbares Besteck, Haushälterin und Köchin mussten her. Die Erziehung der Dienstboten brachte allerdings wieder Unordnung in die Wohnung: "Die Nany ist ganz umgewandelt, seit ich ihr das halb dutzend Bücher an den Kopf geworfen. Es ist wahrscheinlich durch Zufall etwas davon in ihr Gehirn geraten. Der Baberl warf ich meinen schweren Sessel auf den Leib. Da hatte ich den ganzen Tag Ruhe."
Seit 1800 hatte Beethoven durchaus Erfolg und gute Einnahmen, aber der gebührende Ruhm ließ auf sich warten. Wohl weil er weder mit Opern präsent war, noch als Virtuose tourte. So richtig ein schlug beim breiten Publikum erst das Schlachtengemälde Wellingtons Sieg. Mit dem Sieg über Napoleon und dem Wiener Kongress 1814/15 schlug dann auch Beethovens große Stunde. Seine Kantate Der glorreiche Augenblick traf genau die Stimmung, die Massen jubelten in seinen Konzerten, die Zarin von Russland huldigte ihm. Auch die 7. Symphonie kam gut an, aber es waren eher Spektakel und Gelegenheitswerke, die den Ruhm brachten. Der Rossini-Wirbel fegte den auch wieder schnell weg. Beethoven blieb bei der Masse nur noch berühmt als Sonderling mit wirren Haaren, der brummend durch die Gassen stapft und Noten in die Luft malt.
Nach dem Tod eines Bruders 1815 erkämpfte Beethoven vor Gericht das alleinige Sorgerecht für seinen Neffen Karl. Er wollte das Kind der angeblich moralisch verkommenen Mutter entreißen. Zunächst steckte er den Neunjährigen in ein Erziehungsinstitut. 1818 holte er ihn zu sich. Es war der letzte, verzweifelte Versuch, so etwas wie eine Familie zu haben. Beethoven bildete sich ein, er sei Karls "wirklicher Leiblicher Vater". An ihm wollte er sein Ideal eines "höheren Menschen" verwirklichen, ihn zu einem großen Künstler oder Gelehrten machen. Während dessen lief der Krieg um das Kind weiter, in dem Beethoven nicht vor Verleumdung und Intrigen gegen die "bestialische Mutter" zurückschreckte. Das Erziehungsprojekt scheiterte. Karl, der einfach nur Soldat werden wollte, war hoffnungslos überfordert und litt zunehmend an der fast schon psychotischen Bevormundung durch den Onkel. 1826 versuchte er, sich zu erschießen. Nicht unzutreffend erklärte er: "Ich bin schlechter geworden, weil mich mein Onkel besser haben wollte."
Zehn Jahre hatte Beethoven keine Symphonie mehr uraufgeführt. Das Konzert am 7. Mai 1824 war daher die Sensation. Die Neunte verdankt sich einem Auftrag der Londoner Philharmonical Society: 50 Pfund Sterling für eine neue Symphonie. Da hat Beethoven gleich sich hingesetzt. Die Wiener Uraufführung kam erst nach einer Petition seiner Fans zu Stande. Die Vorbereitung war aufwändig und chaotisch, sechs Kopisten plagten sich ab an Beethovens Handschrift, und das schwierige Chorfinale plagte die Sänger. Nach dem Menschheits-Verbrüderungs-Rausch und dem begeisterten Applaus dann die Ernüchterung: Von 2200 Gulden Einnahmen blieben Beethoven nur 420. Bei der Feier sprach er von Betrug und vergraulte seine Freunde. Ebenso verbittert hat ihn der billige Ring, den der Preußenkönig für die Widmung des Jahrtausendwerkes zu schicken geruhte. Er hat den Ring gleich verscherbelt. Im Jahr 2003 versteigerte Sothebys die von Beethoven korrigierte Druckvorlage der Neunten für drei Millionen Euro.
Nach Beethovens Tod am 26.März 1827 wurde eine Obduktion vorgenommen. Dabei kam eine stark geschrumpfte Leber zum Vorschein, "lederartig fest, grünlichblau gefärbt". Er hatte eine Leberzirrhose, und an deren Folgen ist er auch gestorben. Die Bauchwassersucht machte ihm die letzten drei Monate zur Qual. Mehr zum Trost als zur Heilung verschrieb ihm der Arzt eine Kiste Rheinwein, deren Ankunft er sehnlich erwartete. Beethoven war nicht zwingend ein klassischer Alkoholiker, und eine Leberzirrhose kann auch andere Ursachen haben. Aber er trank sicher mehr, als ihm gut tat: Ein Fläschchen zum Essen, ein paar Fläschchen unter Freunden … Auch bleihaltigen Billigwein verschmähte er nicht. Er lag schon im Sterben, als die Kiste endlich eintraf. Seine letzten Worte sollen gewesen sein: "Schade, schade – zu spät!"