Jazzfestivals
Sommer 2019
Wohl in kaum einer anderen Stadt könnte man soviele fußläufig nah beieinander liegende Bühnen erreichen wie in Salzburg. Vom 25. bis 29. Oktober trafen sich Jazzmusiker und Fans an der Salzach beim Festival "Jazz & the City".
Bildquelle: Ulrich Möller-Arnsberg
Es gibt ein Chelsea-Hotel in Salzburg? Nein, gibt es nicht! - Gibt es doch, in der Paris Lodron Straße. Dort treffen sich am zweiten Tag des Festivals Jazzmusiker, Salzburger und auswärtige Jazzfans, um sich ein Bild zu machen von den, wie es im Programm heißt, "Letzten Tagen des Chelsea Hotels". Aufgewühlt empfängt Managerin Dillon Bob die Gäste. Nur noch die Rezeption und der erste Stock seien geöffnet, die restlichen zehn Stockwerke bereits geschlossen. Man könne sich noch einen letzten Eindruck von dieser unvergleichlichen 'Künstlerabsteige" machen, bevor sie leider schließen müsste. Ein Immobilienspekulant habe sich das Gebäude gekauft, man habe nicht mehr mithalten können.
Keine Frage, Tina Heine, seit 2016 neue Chefin des Festivals "Jazz & the City" in Salzburg setzt ihre ganz eigenen Impulse, ohne die Strukturen, die der verstorbene langjährige künstlerische Leiter Gerhard Eder geschaffen hat, aufzulösen. 50 Spielorte hat die gewiefte Netzwerkerin zu bestellen. Kein Problem für Heine, die als langjährige Organisatorin des Hamburger Elbjazz-Festivals viel Erfahrung mitbringt.
Proben im Chelsea-Hotel Salzburg, das es eigentlich gar nicht gibt: Kalle Kalima/Gitarre und Hayden Chisholm/Saxofon | Bildquelle: Ulrich Möller-Arnsberg Vom Lifestyle-Ambiente des Hotels "Blaue Gans", über das Theater "Republic", den Marmorsaal von Schloss Mirabell, den Grossen Saal der Stiftung Mozarteum, bis zum "Theater im Kunstquartier" reicht das Spektrum. Außerdem kommen Clubs und Bierstüberl dazu - und in diesem Jahr eben das "Chelsea". Aber, obwohl hier der finnische Gitarrist Kalle Kalima mit dem australischen Saxofonisten Hayden Chisholm den abendlichen Auftritt im "Krimpelstätter" probt, ist beim Blick von außen auf das vermeintliche Hotel schnell klar: Zehn Stockwerke, die gibt es doch gar nicht - ein Fake bei Jazz & the City, so verrückt wie genial. Gerade hier, in einer Stadt, in der alles so perfekt kalkuliert und programmiert zu sein scheint, ohne den geringsten Spielraum für künstlerische Freiheit. Bloß, man kann sich eben täuschen.
Bildquelle: Ulrich Möller-Arnsberg Als eines der zentralen Projekte von Jazz & the City 2017 kann sicherlich Marike van Dijks 13-köpfige Band gelten, mit der die in New York lebende holländische Saxofonistin ihr aktuelles Programm Stereography präsentierte. Dijks Arrangements sprühen vor instrumentaler und klanglicher Raffinesse. Subtil begleiten die zwölf Musiker unter Dijks behutsamer Führung die bretonisch, walisische Sängerin Katell Keinig. Nach der feinsinnigen Singer-Songwriterin gibt es eineinhalb Stunden später im Theater Republic das totale Kontrastprogramm. US-Soulstar Shayna Steele röhrt aus voller Kehle ins Auditorium. Gitarrist Jeremy Most ist einer der genialen Musiker an ihrer Seite. Er besticht mit bezwingenden Soli und Riffs.
Wieder ganz anders ist am nächsten Tag das Eletronic-Trio um den Luxemburger Vibraphonisten Pascal Schumacher unterwegs. Es geht um Minimal-Music, zu der auf runden Scheiben Punkte, Kreise und Wolken aufschimmern. Drops & Points, so der Titel des Programms, sehr effektvoll inszeniert. Manch einen der Zuhörer bringt diese Trance-Performance zum Kreischen.
Jelena Kuljic und KUU! | Bildquelle: Ulrich Möller-Arnsberg Soll man noch bleiben, oder schon wieder weiter schauen? Immer wieder muss man sich diese Frage in Salzburg stellen. Klar, wer nichts verpassen will, verpasst alles. Und das kann man in zweierlei Hinsicht verstehen, denn Bleiben kann Verpassen bedeuten, aber Nichtbleiben eben auch. Doch für KUU! muss man auf jeden Fall noch mal auf die andere Seite der Salzach. Denn was die singende Schauspielerin Jelena Kuljic von den Münchner Kammerspielen hinrozt, feixt und rockt, lässt auf faszinierende Weise an Nina Hagen erinnern, und ist doch wieder ganz anders. Auch sie hat grossartige Begleiter mit den Gitarristen Kalle Kalima und Frank Möbius, sowie dem enervierenden Schlagzeuger Christian Lillinger.
Manche der Zuhörer von KUU! verlassen vorzeitig das Konzert. Jelena Kuljic lässt sich die Gelegenheit für Situations-Komik nicht nehmen. "Viele Grüsse an Bugge!", moderiert sie den Gehenden hinterher. Sie liegt mit ihrer heiteren Ironie nicht falsch. Unweit vom Kunstquartier im Grossen Saal der Stiftung Mozarteum erwartet schon der norwegische Pianist Bugge Wesseltoft die Gäste. Zu diesem Zeitpunkt sind schon drei Tage mit Konzerten im Halbstunden-Takt vorbei. Bugge macht das Gegenteil wie KUU! Er fängt an mit einer Choralmelodie von Bach, improvisiert darüber, bevor er den Bogen über "Morning has broken" von Cat Stevens und "Blowing in the Wind" von Bob Dylan bis zu "Let it be" von den Beatles zieht. Ein Ausklang, der in dem ehrwürdigen Mozarteumsaal wie ein feierliches Kirchenkonzert wirkt. Ein Moment zum Innehalten - danach ist es gut. Viel gehört, viel erlebt, Salzburg neu erkundet, Salzburg neu gesehen. Man könnte sich daran gewöhnen und wiederkommen.
Mehr Informationen zum Festival finden Sie hier.