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"Musik der Welt" Aufnahmeprüfung: Schuberts "Winterreise" interkulturell

Schuberts Liederzyklus „Die Winterreise“, der das zeitlose Motiv des heimatlosen Wanderers thematisiert, neu kombiniert mit persischen Gedichten und nahöstlichen Klangmeditationen: Diesen ungewöhnlichen Brückenschlag haben der Komponist Maximilian Guth und sein Asambura-Ensemble gewagt: ein klassisches Kammerorchester, das um persische Musikinstrumente erweitert ist. Auch den Gesang mit zwei Sängern erleben wir auf Deutsch und Persisch, wobei die Schubert-Lieder von Wilhelm Müller und die persischen Liedvertonungen um dieselben Erfahrungen wie Liebe, Einsamkeit und Entfremdung kreisen.

"Fremd bin ich eingezogen" - Asambura Ensemble | Bildquelle: © Decurio

Bildquelle: © Decurio

Gleich zu Beginn verbinden Instrumente die Musikwelten: Bassflöte und Marimba, Klarinette und Streicher, die persische Santur-Zither, die Lauten Oud und Tar. Dann folgen persische Worte vom Unterwegssein und nach knapp neun Minuten einer farbigen Klangprozession ist das erste Schubert-Lied zu hören, auf Deutsch und mit vertrautem Klavier.

Existentielle Einsamkeit

„Fremd bin ich eingezogen“ heißt es bei Franz Schubert und seinem Textdichter Wilhelm Müller, „Ein Gefangener im Fernweh bin ich hier“ im persischen Gedicht von Mehdi Akhavan Sales. Die Parallelen dieser existentiellen Einsamkeit sind offenkundig, beide Protagonisten sind Seelenverwandte in ihrer ewigen Wanderschaft.
Es ist ein Spiel mit dem Vertrauten und dem Fremden, das Maximilian Guth und das Asambura-Ensemble mit großer Sensibilität zelebrieren. Es gelingt so gut, dass die Musikkulturen nahtlos miteinander verschmelzen. Aufregende Brüche und Akzente inklusive.

Ähnlich mögen die Seelenzustände zwar sein in den deutschen und persischen Texten. Doch Schuberts Winterreise lebt von extremen Gefühlsschwankungen, die persische Lyrik dagegen ist eine oft getragene Klangmeditation. Die bei aller Melancholie auch mal als feuriger Balkan-Klezmer daherkommt.

Maximilian Guth

Es gibt viele verschiedene Interpretationen von Schuberts „Winterreise“: mit klassischen Sängern aller Stimmlagen, einer Erweiterung der Klavierfassung um Kammerensemble, in Jazz-Adaptionen oder interpretiert von Schauspielern.
Der neue Blick aber auf dieses Werk, den Klarinettist, Komponist und Musikvermittler Maximilian Guth hier durch seinen interreligiösen Dialog und die Einbeziehung der persischen Musikkultur wirft, dürfte einmalig sein. Mit dem 19-köpfigen Asambura-Ensemble hat er Schuberts Kosmos nicht nur seelentief verinnerlicht, sondern weitergedacht.

Suche nach Heimat

Im letzten Lied dann, dem „Leiermann“, sind Texte und Musikkulturen erstmals vereint: beide Sänger singen zusammen und treten mit ihren typischen Instrumenten in einen Dialog. Schmerzbeladen sind die Rufe und der berührende Gesang des im Iran ausgebildeten Mehdi Saei. Und Yannick Spanier, antwortet ihm ebenfalls voller Wärme und Emphase mit schöner kraftvoller Stimme.

Die Winterreise als Sinnbild für die Suche nach Ankommen und Heimat. Als Hoffnung auf einen Himmel in der Fremde, der die »gleiche Farbe tragen mag« wie in der zurückgelassenen Heimat. So heißt es im Gedicht von Medi Akhavan Sales. Es sind diese essentiellen Themen um Entwurzelung und den tiefen Wunsch nach Zugehörigkeit, die in allen Kulturen und zu allen Zeiten ähnlich empfunden werden.
Das macht diese „interkulturelle“ „Winterreise“ von Franz Schubert, Maximilian Guth und dem Asambura-Ensemble über Zeiten und Grenzen hinweg in 77 Spielminuten eindrücklich und betörend klangsinnlich deutlich.
Ein bewegendes mutiges Album, das Horizont und Ohren weitet!

Schuberts "Winterreise" interkulturell

Asambura Ensemble
Yannick Spanier, Mehdi Saei, Gesang
Maximilian Guth, Leitung und Komposition

Decurio DEC 004

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