Er ist einer der Stars des aktuellen Jazz: der Pianist Brad Mehldau. Im Januar war er der erste Jazzmusiker, der im Großen Saal von Hamburgs neueröffneter Elbphilharmonie spielte. Solo. Jetzt kam er mit Trio wieder - und das Publikum bejubelte eine Sternstunde sensibler Jazz-Kammermusik.
Bildquelle: www.bradmehldau.com
Ein Leiser. Ein Versonnener. Einer, der auf weichen Sohlen hereinkommt, sich gelassenen Schritts dem Konzertflügel nähert und sich vier ausführliche Stücke lang in die Musik versenkt, bevor er zum ersten Mal zum Publikum spricht. Im blaukarierten Hemd sitzt er da in Hamburgs neuem Schmuckstück, im 2.100 Besucher fassenden, ausverkauften Großen Saal, und taucht mit seinen Partnern Larry Grenadier (Kontrabass) und Jeff Ballard (Schlagzeug) tief hinein in Musik, wie nur er sie zurzeit spielt: Stücke mit groovenden, sich manisch in kürzelhafte Tonfolgen verbohrenden Rhythmen und markanten Melodie-Intervallen, die durch kunstvoll verschränkte Stimmführungen immer zugleich etwas In-sich-Verschlungenes haben. Und: Musik, die stark in sich ruht und dadurch umso stärker wirkt. Da ist kein einziger Ton ein Vorzeigen von Können - das bei diesem Trio ohnehin in ungewöhnliche Dimensionen reicht -, sondern es geht um musikalische Innigkeit und Intensität.
Die steigert Mehldaus Trio im Laufe des Abends - in einem langen Set von rund 90 Minuten - immer mehr. Denn diese Musiker, so sehr Mehldaus Klavierklang und auch sein stilistisch markantes Spiel im Mittelpunkt zu stehen scheinen, kommunizieren in jedem Moment feingliedrig, antworten mit kleinen Nuancen aufeinander, durchdringen einander. Fast wirkt es, als seien diese drei Musiker ein Organismus, in dem Töne und Emotionen ineinanderfließen. Auch Bassist Larry Grenadier und Schlagzeuger Jeff Ballard haben hier Stücke, in denen sie ausführliche Soloparts übernehmen. Nach einer Ansage auf Deutsch, in der der Pianist bekundet, dass es eine große Ehre für das Trio sei, „in diesem wunderschönen Saal“ zu spielen, folgt ein knackiges Feature für den Schlagzeuger.
Brad Mehldau | Bildquelle: www.bradmehldau.com
Und dann, von Mehldau angekündigt mit den auf die Frankreich-Wahl bezogenen diesmal englischsprachigen Worten "We are happy for Paris, we are happy for France", steuert das Konzert auf den Höhepunkt zu: "Si tu vois ma mère" ("Falls du meine Mutter siehst"), ein Klassiker eines Musikers, der einst von New Orleans nach Paris zog und als Sopransaxophonist und Komponist besonders prägnanter Stücke Geschichte schrieb. Dieses Stück ist ein nostalgisch getönter Ohrwurm und darf es hier auch bleiben. Es blüht zunächst in ganz zarter Trio-Schlichtheit auf und wird dann, durch eine lange Solo-Kadenz des Pianisten, zu einem langen, magischen Augenblick. Zuerst überlässt Mehldau in diesem Stück die Melodie dem Bass, den er wunderbar zart begleitet, dann spielt er sie selbst, zart und ohne Auszierungen, aber mit feinen Verzögerungen der Melodiephrasen, die dadurch umso mehr faszinieren - höchst ökonomisch, aber in jedem Takt überraschend. Und plötzlich, als man glauben könnte, das Stück sei schon vorbei, der Solo-Ausflug des Pianisten: Wie unter einem Vergrößerungsglas funkelt dabei immer wieder das hüpfende Melodie-Motiv des Ohrwurms heraus und macht viele Metamorphosen durch, mal umgeben von impressionistischen Farbflächen, mal in romantischen Schichten getürmt - und dann fein und stilvoll zu einer tänzelnd-klingelnden Schlusspointe geführt. Auch da: Nirgends ein selbstbeweihräucherndes Schwelgen, sondern ein Wachsen-Lassen des musikalischen Moments.
Im Saal der Elbphilharmonie, der bei aller Größe verblüffend gemütlich wirkt, wie ein großes Wohnzimmer für Töne, kommt diese Musik auch besonders zur Geltung. Da das Publikum um die Bühne herumsitzt, stellt sich eine ungewöhnliche Intimität ein. Und die wiederum strahlt auf improvisierende Musiker besonders zurück. Man fragt sich schon, ob in einem anderen Raum eine derart inspirierte Version des Bechet-Stücks möglich gewesen wäre. Spannend zu verfolgen war überhaupt der Klang: Das Trio spielte mit Verstärkeranlage, aber das führte zumindest auf Platz 9 in Reihe 4 Bereich D nicht zu den Soundproblemen, die sich manchmal bei verstärkter Musik in klassischen Konzertsälen ergeben. Der Klavierklang war leuchtend, ohne grell zu werden, weich, klar, natürlich. Den Bass hörte man an dieser Stelle gut, und das Schlagzeug hatte klare Konturen, wenn auch die dunkleren Klangbereiche des Drumsets nicht immer optimal wahrnehmbar waren. Insgesamt aber: ein vorzügliches Klangbild, um das Münchner, die etwa das letzte Trio-Gastspiel Keith Jarretts in der Philharmonie im Gasteig erlebt haben, das Hamburger Jazzpublikum sehr beneiden können. Der Zauber dieses Saals funktioniert also auch bei Jazzgruppen. Die extrem wache Resonanz des Raums hatte aber auch hier den ganz leichten Nachteil, dass Huster im Publikum ebenfalls stärker zur Geltung kamen als in manchen anderen Häusern.
Bravo-Rufe gab's nach dem langen Sidney-Bechet-Stück - und dann zwei Zugaben. Eine davon, die ganz am Schluss, war Paul Simons Klassiker "Still crazy after all these years", nah am Original gehalten, bluesig, mit zart herausgeschälter Melodie: Auch das so gespielt, dass als eigentliche Stars des Abends die Stücke gefeiert wurden - von Ausnahme-Interpreten, die - wie dieses Konzert nachdrücklich zeigte - zu den ganz Großen dieser Zeit gehören.