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Der "King of Klezmer" wird 85 Mazel Tov, Giora Feidman!

Giora Feidman ist nicht nur der "König der Klezmermusik". Durch ihn erlebte diese traditionelle jüdische Unterhaltungs- und Volksmusik eine weltweite Renaissance. Feidman singt auf seiner Klarinette, er spricht zu uns, sein Instrument erzählt Geschichten. Nun feiert Giora Feidman seinen 85. Geburtstag.

Bildquelle: picture-alliance/ dpa/dpaweb | Bernd Weißbrod

Giora Feidmans Musik ist geprägt von einer nahezu untergegangenen Kultur. Es ist die Musik der Jüdinnen und Juden in Osteuropa, die Musik des "Schtetl". Um 1900 nehmen antijüdische Hetze und lokale Pogrome überhand, wer kann, verlässt das Land. Giora Feidmans Eltern gehören dazu. Die Mutter im frühen Alter von zwei Jahren zusammen mit ihrer Familie, der Vater um einiges später als Musikstudent. Beide lernen einander in Buenos Aires kennen.

Heimat ist für mich weniger ein Ort als vielmehr eine Zugehörigkeit zu Menschen.
Giora Feidman

Im Zuge dieser Auswanderungswellen osteuropäischer Juden Anfang des 20. Jahrhunderts wird auch die Musik des "Schtetl" in die Welt hinausgetragen. Es ist "jiddische Musik", heute, nach ihrem Revival in den 1970er-Jahren, nennt man sie "Klezmer".

Musikerfamilie mit klassischem Hintergrund

Feidman ist Musiker in vierter Generation. Die Familie stammt aus Bessarabien, einem Agrarland am Schwarzen Meer, heute in etwa das Gebiet der Republik Moldau. Sein Vater Levi, der Name wird in Argentinien zu Leo verändert, ist ein Klezmer-Klarinettist, mit klassischer Ausbildung an der Musikakademie in Bukarest. Er habe sich, um der antijüdischen Hetze zu entkommen, zusammen mit zwei Mitstudenten die billigste Schiffskarte in ein sicheres Land gekauft, erzählt Feidman über seinen Vater. Noch im Hafen von Buenos Aires werden sie wegen ihrer Instrumentenkoffer von einem Mann angesprochen, er meint, sie würden dringend benötigt. Eine Woche später spielen die drei in einem argentinischen Marine-Orchester.

Von der Klezmerszene Buenos Aires' ins Teatro Colon

Giora Feidman der Synagoge in Berlin Prenzlauer Berg | Bildquelle: picture-alliance/dpa Giora Feidman, der damals noch Gedalie heißt, nach dem Großvater, wächst auf in Buenos Aires. Er lernt Spanisch, Jiddisch sprechen die Eltern, wenn die Kinder nichts verstehen sollen. Klarinette lernt er zunächst beim Vater, er wächst auf in der Klezmerszene der jüdischen Diaspora von Buenos Aires, in der die osteuropäische Tradition weiterlebt. Feidman schildert seinen Vater als den besten Klezmer weit und breit, die Leute hätten ihre Hochzeitstermine über Jahre hinweg danach ausgerichtet, wann Leo Feidman Zeit hat. Vater und Sohn Feidman musizieren miteinander auf jüdischen Festen und in den Kaffeehäusern von Buenos Aires. Dazu kommt auch für den Sohn eine erstklassige Ausbildung an der Musikakademie. Eines Tages nimmt ihn der Vater zur Probe mit ins Opernorchester, weist ihm den Platz neben sich zu und überlässt ihm eine Solostelle. "Leo", sagen die Musiker zum Vater, "du kannst nach Hause gehen, ab jetzt spielt dein Sohn bei uns." Drei Jahre später, mit neunzehn, ist Gedalie Feidman das mit Abstand jüngste Mitglied des Orchesters im Teatro Colón.

Heute weiß ich, dass Gott mir diese Probleme gegeben hat, damit ich nicht nach außen schaue, sondern nach innen.
Giora Feidman

Drei Jahre später spielt Feidman in Israel. Das Israel Philharmonic Orchestra ist auf der Suche nach einem Klarinettisten. Das Vorspiel – noch in Buenos Aires – klappt besser als gedacht. Drei Minuten nur, dann meint Paul Kletzki, Gastdirigent der Israelis, es sei genug, so etwas habe er noch nie gehört. Feidman ist vom Fleck weg engagiert. Doch die Katastrophe bahnt sich schon an.

Aus Gedalie wird Giora

Bildquelle: Imago/Scherf In Israel erhält Feidman auch seinen neuen Vornamen. Eine Sekretärin in einem Aufnahmestudio meint beim Ausfüllen der Mitwirkendenliste, "Gedalie", so könne man doch nicht heißen, und kurz entschlossen schreibt sie den alttestamentarischen Namen "Giora" auf die Liste. So hätte Giora Feidman bis zum Rentenalter ein zufriedener Klarinettist in einem israelischen Elite-Sinfonieorchester bleiben können, wäre da nicht seine Krankheit. Nystagmus, ein erbliches Augenleiden, das sich in einem unkontrollierbaren Zittern der Augäpfel äußert. Feidman kann seine Pupillen nicht fokussieren, auch heute noch. In der Schule schon konnte er auf der Tafel nur wenig erkennen, und jetzt, in Israel, kommt er vom Orchesterdienst oft weinend nach Hause, weil er die Noten nicht mehr sieht und den Dirigenten nur hinter einer Wolke erahnen kann. Es hilft alles nichts: Feidman muss kündigen.

Mit dem Schicksal versöhnt

Ein Schicksalsschlag für einen Musiker. Doch die Krankheit stellt sich letztlich als Segen heraus. Feidman erhält Hilfe von einer Frau, von Ora Bat Chaim, einer erfahrenen Kulturmanagerin. Die beiden sind frisch verheiratet, und sie hat Rat: Werde selbständig, spiel deine Klezmermusik, da brauchst du keine Noten. Und ich werde dafür sorgen, dass du Auftritte hast. Außerdem weiß sie: Wer berühmt werden will, der muss als erstes in die USA gehen.

Ich war der Erste, der den Klezmer in die Konzertsäle brachte.
Giora Feidman

Feidmans erste Tournee, Ende der 1970er-Jahre, wird völlig unerwartet zu einem riesigen Erfolg. Die US-amerikanischen Zeitungen feiern ihn als "King of Klezmer", und am Ende der erfolgreichen drei Monate beschließen Feidman und seine Frau, in den USA zu bleiben. Weitere Tourneen folgen, Auftritte in der Avery Fisher Hall und in der Carnegie Hall, man holt ihn zu Theaterauftritten, Feidman spielt Filmmusik für "Schindlers Liste", die "Comedian Harmonists", für "Jenseits der Stille".

Mit Musik Brücken bauen

"Meine Klarinette", sagt Feidman heute, "ist das Mikrofon meiner Seele. Wenn sie seufzt, lacht, weint, trauert oder jubelt, dann spricht sie mit den Menschen. Und versucht, Brücken zu ihnen zu bauen." Und so sieht sich Giora Feidman heute nicht mehr allein als Klezmer, sondern als jemanden, der zur Aussöhnung aufruft zwischen den Völkern und Religionen. Als Jude, als Israeli spielt Feidman vor christlichem Publikum. Auf Kirchentagen hören ihn Tausende, der Papst lädt ihn ein zum Weltjugendtag nach Köln. Und in Auschwitz spielt Feidman Wagner. "Wenn es einen Ort gibt, an dem man Musik braucht", sagt er, "dann ist das hier. Und vergesst, wer diese Musik geschrieben hat. Es ist völlig unwichtig."

Sendung: Der 85. Geburtstag von Giora Feidman ist "Thema der Woche" in der "Mittagmusik" in BR-KLASSIK.