"If you don't mind, we'd like to play something for you": Da ist sie, die brüchig-heisere Stimme jenes Mannes, der dieses Sprechorgan nur höchst selten öffentlich nutzte. Der Satz leitet eines der Stücke dieser CD ein – und soll suggerieren: Er, der schwarze Prinz des Jazz, der Perfektionist mehrerer Stile des Jazz nach 1950, der ästhetische Fixpunkt vor allem afroamerikanischer Jazzmusiker bis in die Gegenwart, sei hier Wortführer und auch ästhetischer Kopf gewesen. Inwieweit das wirklich zutrifft, ist jedoch die Frage.
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1985, also vor 34 Jahren, nahm Miles Davis Musik auf, die drei Produzenten jetzt als Grundlage für eine komplette CD verwendet haben. Diese Produzenten sind die damals schon beteiligten Attala Zane Giles und Randy Hall – und Miles Davis' Neffe, der Schlagzeuger Vince Wilburn Jr., der damals auch schon mitspielte und von dem sich der mit ihm unzufriedene Miles Davis später trennte. Sie haben "Rubberband" jetzt auf den Weg gebracht – in einem Moment, in dem spektakuläre Ausgrabungen gerade in der Jazzwelt gute Konjunktur haben. Immerhin feierten Kritiker ein vor einem Jahr erschienenes "Lost Album" des großen Saxophonisten John Coltrane als aufschlussreiches Meisterwerk: "Both Directions At Once", galt vielen als Glücksfund, als "Missing Link" in der stilistischen Entwicklung des Musikers. Eine Ausgrabung aus dem Schaffen der funkelnden Jazz-Ikone Miles Davis liegt da gut im Trend. (Und ein weiterer gehobener Schatz von John Coltrane ist ebenfalls schon auf dem Weg: "Blue World" soll am 27. September erscheinen.)
Miles Davis: "Rubberband" – das Cover der CD | Bildquelle: Rhino Doch nun also Miles Davis – mit einem Produkt, das nicht ohne neue Zutaten auskommen konnte. Denn das ursprüngliche Projekt war unvollendet. Mit dabei sind nun Sängerinnen, die damals nicht mit im Studio waren – und auch noch nicht sehr lange auf der Welt: die beiden Rhythm-&-Blues-Stimmen Lalah Hathaway (geboren 1968) und Ledisi (geboren 1972), eine davon mehrfache Grammy-Gewinnerin, unter anderem mit der Band Snarky Puppy und dem Pianisten Robert Glasper, die andere vielfach Grammy-nominiert. Ursprünglich sollten 1985 zwei andere, sehr berühmte afroamerikanische Stimmen in "Rubberband" zu hören sein: der Vokal-Artist Al Jarreau und die Soul-Diva Chaka Khan. Doch zu deren Mitarbeit kam es damals nicht mehr, da das Projekt im Entstehungsprozess abgebrochen wurde.
Damals war der Trompeter gerade von seiner ursprünglichen Plattenfirma Columbia zur Konkurrenz von Warner Brothers gewechselt. Er habe mit Chaka Khan, Al Jarreau und seiner eigenen Band ein Popmusik-Album verwirklichen wollen. Doch dann fand das Label zusammen mit dem Produzenten Tommy LiPuma ein anderes künstlerisches Profil des Trompeters besser. Unter der musikalischen Leitung des Bassisten und Multitalents Marcus Miller wurde das Album "Tutu" produziert: mit Musik, in der die oft flüsternde und prägnante Kürzel von sich gebende Trompete von Miles Davis wie eine geheimnisvolle Sprechstimme wirkt. Das Album, das dem südafrikanischen Geistlichen Desmond Tutu gewidmet war, wirkte wie ein Soundtrack afroamerikanischer Identität.
Und nun also "Rubberband" als Dokument von Miles Davis' Weg zu diesem sehr erfolgreichen Album? Ebenfalls ein Missing Link? Man hört – und ist erstaunt. Gleich im ersten Stück die Röchelstimme des Meisters, der das Wort "Rubberband" mehrmals rhythmisch haucht. Schwere Rhythmen, punktuelle Töne der gestopften Trompete – und die Singstimme der neu hinzugeholten Ledisi. Danach eine Mischung aus Songs und Instrumentalstücken, die nicht wirklich ein System erkennen lässt: der mit vielen Keyboard-Sounds angefüllte Funk-Groove, wie man ihn aus Miles Davis' Konzerten der mittleren 1980er Jahre kannte, dazu die energiegeladene E-Gitarre von Mike Stern in Nummern wie "This is it", "Give it up" und "Maze". Wir hören aber auch gefühlige Songs, die zumindest für Fans des klassischen Miles Davis wie ein Kulturschock anmuten – zum Beispiel fröhlich-plätschernde Steel-Drum-Klänge und ein kitschiges Akustik-Gitarren-Motiv in einem Stück namens "Paradise", ein Background-Chor haucht dazu stetig "Aah", und die Trompete scheint das Ganze mit expressiven Läufen konterkarieren zu wollen. Softigen Soul-Schmelz verbreitet Sängerin Lalah Hathaway, und einmal verkündet die Samtstimme des Produzenten und Musikers Randy Hall mit vielen lasziv eingestreuten "Oh Yeahs" die Botschaft: "I Love What We Make Together". Ist das Miles Davis?
Miles Davis | Bildquelle: Rue des Archives/FIA/Süddeutsche Zeitung Photo In einem "Mini Documentary"-Video zu "Rubberband" sagt Randy Hall, er wisse, was Miles Davis damals im Sinn gehabt habe – und er sei glücklich, dass diese "großartige Musik" nun endlich veröffentlicht wurde. Das Ergebnis aber klingt an vielen Stellen artifiziell und ziemlich uninspiriert. Ein spannendes Widerspiel zwischen Instrumenten oder Stimmen findet nicht statt, musikalisch einigermaßen aussagekräftig sind im Grunde nur die oft wie ein schmirgelnder Hinter- und Untergrund daherkommenden Trompetenmonologe von Miles Davis selbst. Was der jedoch zu diesem Werk unter seiner nicht mehr aktiven Mitwirkung sagen würde? Leider wird man das nie erfahren. Fest steht: Man braucht ein ziemlich dehnbares Gummiband der Toleranz, um eine im Nachhinein erstellte Collage aus Davis' Aufnahmen und neuen Zutaten wirklich als Album "von" Miles Davis zu hören. Wenn zumindest das gelingen würde, was Miles Davis immer wieder vorschwebte, nicht nur in den Achtzigern – nämlich ein größeres Publikum für die Vitalität des Jazz zu gewinnen –, dann wäre immerhin das ein Verdienst dieses Albums. Für Fans von Miles Davis ist es ein fragmentarisch bleibendes Dokument einer von vielen künstlerischen Phasen des großen Musikers. Ganz von Davis allerdings ist das dem Albumcover zugrundeliegende Gemälde.
Sendung: Leporello am 18. September 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK