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Der Sänger und Gitarrist João Gilberto ist gestorben Die Stimme der Bossa Nova

Er war die Stimme eines einzigartigen Stils: der Bossa Nova, jener zeitlos berückenden Mischung aus Samba und Jazz. Er sang leise, zart und unverwechselbar. Jetzt ist der Brasilianer João Gilberto einen knappen Monat nach seinem 88. Geburtstag gestorben.

João Gilberto | Bildquelle: ©epa-Bildfunk

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Ein Mann mit Brille, dicken Augenbrauen, schütterer Durchschnittsfrisur und eine Konzertgitarre auf dem rechten Oberschenkel: So konnte man ihn viele Jahre auf der Bühne erleben, wo er stets im Sitzen spielte. João Gilberto – oder auch: João Gilberto Prado Pereira de Oliveira, wie er mit ganzem Namen hieß – war ein Meister des Unspektakulären. Ein stiller Star, einer, der auf der Bühne kaum und in Menschenmengen (sofern er sich in sie wagte) wohl gar nicht auffiel; einer, der bei seiner Arbeit keine großen Show-Gesten brauchte, sondern, ganz im Gegenteil, mit einem Minimum an Bewegung und Lautstärke einfach nur Lieder sang und begleitete. Das aber konnte João Gilberto in seinem Musikstil, der Bossa Nova, wie kein anderer. Sein rhythmisch versetztes Spiel und sein Gesang verkörperten möglichst pure Substanz – und steckten dennoch voller Kunst in den Feinheiten. Dass man so raffiniert in ein Mikrophon flüstern kann, hätte vor seiner Zeit niemand geahnt.

Auf die Seele geschriebene Songs

Vor seinem Durchbruch als Musiker wurde Gilberto in einem Studio nach einem Vorsingen schon mal verspottet: Man suche doch keinen Bauchredner, sondern einen Sänger. Doch dann lief er einem kreativen Paar über den Weg, das mit ihm zusammen die Musikwelt verändern sollte: Das waren der Pianist und Komponist Antonio Carlos Jobim und der Textdichter Vinicius de Moraes. Die beiden schrieben Stücke, die dem stillen Interpreten wie auf den Leib komponiert zu sein schienen. Oder besser: auf die Seele. Darunter eines mit dem Titel „Chega de Saudade“ (Schluss mit der Sehnsucht, englischsprachiger Titel später: „No More Blues“), das bereits 1957 die Sängerin Elizete Cardoso für Schallplatte eingesungen hatte und das als erstes aufgenommenes Bossa-Nova-Lied gilt. Dieses Stück nahm João Gilberto 1959 dann auch für sein von Antonio Carlos Jobim produziertes Debüt-Album auf, dem die Komposition auch den Titel gab. Noch weitere, bis heute berühmte Bossa-Nova-Stücke fanden sich bereits auf diesem Album: „Desafinado“ (Verstimmt), „Brigas, nunca mais“ (Nie wieder Streit) oder auch Gilbertos lautmalerische Eigenkomposition „Bim-Bom“.

Ausdruck eines Lebensgefühls

Saxophonist Stan Getz | Bildquelle: picture alliance / IMAGNO/Franz Hubmann Großen Erfolg hatten Saxophonist Stan Getz und Gitarrist João Gilberto unter anderem mit "The Girl from Ipanema". | Bildquelle: picture alliance / IMAGNO/Franz Hubmann Diese sanfte Musik verbreitete sich schnell, wurde von vielen jungen Musikern nachgeahmt und zum Ausdruck eines gelassenen Individualismus. Dieses Lebensgefühl entdeckten etwas später auch amerikanische Musiker wie der Saxophonstar Stan Getz für sich. 1963 in New York machte Getz zusammen mit Jobim und Gilberto Aufnahmen, die zu einem musikgeschichtlichen Meilenstein wurden: diejenigen für die Langspielplatte "Getz / Gilberto". Das Album wurde eine der meistverkauften LPs aller Zeiten, erhielt 1965 mehrere Grammy-Awards und wurde 2013 von dem Magazin "Rolling Stone" als Nummer 22 der "100 besten Jazz-Alben" aufgeführt. "Desafinado", "Corcovado", "O grande amor" und nicht zuletzt "The Girl form Ipanema" finden sich auf dieser Platte. „The Girl from Ipanema“, das musikalisch-sprachliche Bild einer anmutig auf dem Weg zum Meer vorübergehenden jungen Frau, mit einer eingängigen Melodie, die auf geschickten Sequenzbildungen über in kleinen Tonschritten changierenden Harmonien aufbaut, gilt als das bekannteste Stück, das João Gilberto sang. Auf der einst international veröffentlichten Single allerdings ist nicht er, sondern seine damalige Ehefrau Astrud Gilberto zu hören, deren ätherisch-lieblicher Gesang wohl als marktkompatibler erschien. Nur in der Anfangsphrase der Aufnahme hört man João Gilberto kurz ein paar rhythmische Töne summen. Ironie des kommerzgesteuerten Musikbetriebs: Die stärkste Stimme wurde ausgeblendet.

Die Gitarre stotterte nur scheinbar

Joao Gilberto aber sicherte sich einen Langzeit-Erfolg. Viele Jahrzehnte lang waren seine Interpretationen, die den leisen Gesang ungemein gekonnter Melodiephrasen gegen einen nur scheinbar stotternden Rhythmus der Gitarre setzten, das Maß aller Dinge vor allem für die Klassiker von Antonio Carlos Jobim – die immerhin einst auch Frank Sinatra in englischsprachigen Versionen gesungen hatte. Sein vielleicht allerbestes Album nahm er im Jahr 2000 auf, mit fast siebzig Jahren: „João Voz e Violão“ (João, Stimme und Gitarre) heißt das bei dem Jazzlabel Verve erschienene Album. Alle Aufnahmen darauf hat João Gilberto ganz allein bestritten. Klassiker von Kollegen wie Caetano Veloso und Gilberto Gil sang er da – und nicht zuletzt die stärkste Version von „Chega de Saudade“. In C-Moll (und dem B-Teil in C-Dur) statt dem sonst üblichen D-Moll sang Gilberto dieses Stück, und in dieser neuen Interpretation fand er zu einer schier magischen musikalischen Ruhe. Wie er dabei die Melodiephrasen kurz dehnte oder beschleunigte, wie er die Stimme über die Harmonien schweben ließ: ganz große Kunst. Wer sich Videos mit Gilberto anschaut, wird staunen, wie frei sich der Sänger als sein eigener Begleiter in den komplexen Bossa-Nova-Akkordfolgen bewegte: Nie ging seine Begleitung in gestanzter Gleichförmigkeit auf Nummer Sicher, sondern jedes Mal ließ er die Finger etwas andere Wege gehen als in früheren Aufnahmen. Höchste musikalische Souveränität – bei vollendeter Understatement-Haltung.

Nachlässige Anfänge

Dieser große Musiker wäre einst beinahe gescheitert: 1931 war João Gilberto in einem Ort namens Juazeiro im Nordosten Brasiliens geboren worden, mit 14 lernte er Gitarre, leitete eine Schülerband, zog mit 18 nach Salvador de Bahia und wurde nach der Teilnahme an diversen Talentshows  von einer Band engagiert, die täglich für einen Radiosender in Rio de Janeiro Live-Musik spielte. Er verspielte sich damals aber manche Chance, wird als unzuverlässig geschildert, soll oft verspätet oder gar nicht zu Terminen erschienen sein. Nach einem Rückzug zu Verwandten, bei denen er in Abgeschiedenheit an seinem später berühmten Gitarrenstil arbeitete, ging er wieder nach Rio de Janeiro – wo er schließlich Antonio Carlos Jobim und Vinicius de Moraes begegnete und bald berühmt wurde.

Leise letzte Jahre

Gitarrist, Sänger und Komponist João Gilberto bei einem Konzert in der Carnegie Hall in New York am 18. Juni 2004. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Gitarrist, Sänger und Komponist João Gilberto bei einem Konzert in der Carnegie Hall in New York am 18. Juni 2004. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ganz leise, so scheint es, verabschiedete sich dieser Flüster-Sänger auch von der Welt. Seit Jahren lebte João Gilberto zurückgezogen, wie es in Berichten über ihn heißt, vereinsamt und hochverschuldet. Der deutsche Journalist Marc Fischer schilderte ihn in seinem auch verfilmten Buch „Auf der Suche nach João Gilberto“ als einen Mann, „dessen Gitarre und Gesang alle kennen, mit dem aber kaum jemand geredet hat, weil er sich seit dreißig Jahren in einem Hotelzimmer in Rio de Janeiro versteckt, erst um 8 Uhr abends aufsteht und nie Interviews gibt“. Lange hatte man von ihm nichts gehört außer im Zusammenhang eines Familienstreits zwischen seinen ältesten Kindern und seiner letzten Ehefrau. Jetzt informierte sein Sohn die Welt über den Tod des großen Künstlers. Das leise Murmeln von Gilbertos Gesang, ein Murmeln wie dasjenige von sanften Wellen am Strand von Copacabana, wird Fans von fein gearbeiteter Musik immer im Ohr bleiben.

João Gilberto auf BR-KLASSIK

Jazztime - Jazztoday am 08. Juli 2019
Der geniale Flüsterer
Nachruf auf den brasilianischen Sänger, Gitarristen und Komponisten João Gilberto
Moderation und Auswahl: Ulrich Habersetzer

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