Das Konzept ist bestechend und funktioniert: Dieses Festival – mit dem schönen zweisprachig verschränkten Namen "Südtirol Jazzfestival Alto Adige" – setzt nicht auf amerikanische Stars, sondern auf junge europäische Musiker, jedes Jahr mit einem anderen geographischen Schwerpunkt. So entdecken auch vielreisende Jazz-Spezialisten hier immer wieder Musiker, die sie noch nicht kennen.
Bildquelle: Roland Spiegel
Auch Veranstalter anderer renommierter Festivals – etwa Saalfelden, Salzburg, Münster – gehören zu den Besuchern und schneiden sich gern von dem Bozener Programmgestalter Klaus Widmann eine Scheibe ab. Dieser ist hauptberuflich Arzt und nebenberuflich ein ausgezeichneter Jazzkenner mit einem untrüglichen Gespür für Sound und Setting.
58 Konzerte an 45 Orten stehen diesmal auf dem Programm – unter dem Motto "Exploring Iberia". Die Schauplätze reichen dabei vom spektakulären Bau des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst, dem "Museion", in Bozen bis hin zu mehreren Hütten auf dem Speikboden, einem Gebirgsstock in den Zillertaler Alpen.
Bei strahlendem Sonnenschein – und erträglichen Temperaturen im Vergleich zu den 39 Grad in Bozens Innenstadt – trat die aus Barcelona stammende Sängerin Magalí Sare zusammen mit dem Gitarristen Sebastià Gris im Freien vor der 2.400 Meter hoch gelegenen Sonnklarhütte auf dem Speikboden auf. "So früh haben wir bisher selten gespielt – und so hoch noch nie", sagte der Gitarrist zu Beginn des Konzerts, morgens um 10:30 Uhr. Sie kamen aber damit gut zurecht, denn dieses Duo war gleich eines der Highlights. Jazz-Klassiker, eigene lyrische Songs auf Katalanisch und sogar eine unorthodoxe und innige Version von Richard Strauss' "Morgen!" interpretierte Magalí Sare mit zarter, ungemein wendiger Stimme so lebendig, dass lustvoll erzählte Geschichten daraus wurden. Eine solche Begabung fürs Gestalten von Texten und Melodiebögen wie bei dieser 1991 geborenen Sängerin erlebt man im jüngeren Jazz selten, hinzu kommt eine glockenklare Treffsicherheit auch großen Tonsprüngen. Außerdem schmiegt der Gitarrist Sebastià Gris seine Begleitungen so fein und variantenreich an die Gesangsstimme an, dass manche Stücke dieses Duos wie innige musikalische Umarmungen wirken.
Manel Fortià, Bass, und Gabriel Amargant, Saxophon, auf dem Speikboden | Bildquelle: Roland Spiegel Zu zwei weiteren Hütten konnte man am sonnigen ersten Sonntag des Festivals wandern, Rundblicke auf etwa 150 Gipfel genießen – und Musiker wie den Bassisten Manel Fortià und den Tenorsaxophonisten Manel Amargant entdecken, die auf einer Wiese unter einem Schirm bezwingende, ruhige Dialoge mit eigenen Stücken und Standards spielten. Der modulationsreiche Ton des Saxophonisten, kraftvoll und klar konturiert und dann wieder schimmernd weich, blieb auf dem Weg zur Seilbahn stark im Gedächtnis. So bezaubernde Verbindungen von Landschaft und Musik wie beim Südtirol-Jazzfestival gibt es bei anderen Festivals schlichtweg nicht. Da mag an einer der Hütten der Kellner im Vorbeigehen noch so muffig murren, dass ihm diese Töne gar nicht schmecken – für ein neugieriges Publikum ist dieses Festival eine Gelegenheit für gänzlich unalltägliche Musik-Erlebnisse.
In Bozens "Museion", jenem Gebäude, das wie ein riesiger Eiswürfel direkt an die Wiesen beim Ufer des Flusses Talfer gebaut wurde, ist jedes Jahr Platz für ein Kontrastprogramm. Im kühl-stilvollen Foyer spielte diesmal das Trio des Pianisten Marco Mezquida ein Programm, das dem Komponisten Maurice Ravel gewidmet war. "Ravel's Dreams" nannte es sich, besetzt mit Klavier, Cello (Martín Meléndez) und Schlagzeug (Aleix Tobias). Nicht etwa kleine Ravel-Appetithappen, sondern komplexe Stücke wie das Streichquartett in F-Dur (alle vier Sätze) nimmt sich dieses Trio vor und schafft mit freien Assoziationen zu den musikalischen Themen ein faszinierend feines Klangspektrum: kammermusikalischer Jazz mit vielen musikantisch-bluesigen und vielen subtilen Momenten. Natürlich ist dann auch der "Boléro" dabei und wird ganz gegenläufig interpretiert: als wuchtig beginnendes Decrescendo.
Bildquelle: Roland Spiegel Marco Mezquida, geboren 1987 auf Menorca, trat an den ersten Festivaltagen gleich fünfmal in unterschiedlichen Besetzungen auf – etwa auch mit dem Flamenco-Gitarristen Chicuelo und mit der Sängerin Celeste Alias. Eines der Konzerte war ein Solo-Auftritt auf einem Weingut in der Nähe von Kloster Neustift bei Brixen. Unter anderem eine rund 40-minütige, völlig freie Improvisation war da von ihm zu hören – in einem idyllischen Innenhof mit Kastanienbaum und grün bewachsenen Mauern. Mezquida spannte da einen langen Bogen von leisen, rhythmischen Motiven über kantig-motorischen Drive bis hin zu Passagen, bei denen er im Flügel zupfte oder einen Cembalo-artigen Klangeffekt erzielte durch einen kleinen Holzblock, den er auf die Saiten legte. Mit feinem, musikalischem Humor und viel spielerischer Gelassenheit bei aller Präzision fand er dabei auch einen eigenen Ton. In besonders schönen Momenten schienen Vögel mit ihrem Zwitschern auf die Motive aus dem Flügel zu antworten.
Marco Mezquida hatte auch das Eröffnungskonzert im Walther-von-der-Vogelweide-Haus geleitet – mit insgesamt 14 Musikern unter dem Titel "Iberian Connection & Guests". Außer ihm und den Musikern seines Trios machten dabei besonders drei Gäste aufhorchen: die mexikanische Bassistin und Sängerin Fuensanta Méndez und die beiden holländischen Kosmopoliten Joris Roelofs (Bassklarinette) und Reinier Baas (Gitarre). Gerade Reinier Baas, der schon in den letzten Jahren in Bozen vielbeachtete Auftritte hatte, fiel hier wieder mit seinem enorm weitgespannten musikalischen Vokabular und der scheinbaren Mühelosigkeit seines Spiels auf, denn auch über iberischer Musik improvisierte dieser Gitarrist so, als sei er in ihr absolut zuhause. In Südtirol ist er das auf jeden Fall.
Das "Südtirol Jazzfestival Alto Adige" dauert noch bis zum 7. Juli. Informationen zu Programm und Vorverkauf erhalten Sie auf der Homepage des Festivals.
Sendung: "Leporello" am 04. Juli 2019 ab 16:05 auf BR-KLASSIK
Pianist Marco Mezquida und Gitarrist Chicuelo sind am 12. Juli, 20 Uhr, im Bürgerhaus Unterföhring bei München zu hören – im Programm des dortigen, hochkarätig besetzten Jazz-Weekends.
Außer diesem Duo sind etwa der kubanische Pianist Chucho Valdéz und die französische Schlagzeugerin Anne Paceo mit ihrer Band bei dem Festival zu erleben.
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