Er war noch voller Pläne, war gerade dabei, letzte Hand an ein Projekt zu legen: seinem Jazzquartett zusammen mit Streichern. Doch völlig unerwartet ist der deutsche Vibraphonist Wolfgang Schlüter am 12. November, seinem 85. Geburtstag, an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben.
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Wolfgang Schlüter, 1933 in Berlin geboren, wurde von Jazzkennern gern "der Urvater des deutschen Jazz-Vibraphons" genannt. Über Jahrzehnte hinweg war er der Solist an seinem Instrument in so renommierten Jazz-Orchestern wie denjenigen von Kurt Edelhagen, Erwin Lehn oder Paul Kuhn. Und nicht zuletzt in der NDR-Bigband, der er über dreißig Jahre lang angehörte. Hamburg war lange Zeit seine musikalische Heimat – noch im letzten Jahr erhielt Schlüter den Hamburger Jazzpreis. 2001 hatte er bereits den bedeutendsten deutschen Jazzpreis erhalten: den Albert-Mangelsdorff-Preis, der stets beim Jazzfest Berlin überreicht wird.
Schlüter, befeuert von amerikanischen Vorbildern wie Lionel Hampton und Milt Jackson, pflegte einen ebenso kammermusikalisch feinen wie virtuosen Stil. Er war einer der wenigen deutschen Musiker, die eine Platzierung in der Kritiker-Umfrage des amerikanischen Magazins "Down Beat" erreichten. Als ein Musiker, der stets nach neuen Herausforderungen suchte, war er in den Siebziger und Achtziger Jahren auch in der Rockjazz-Band des Gitarristen Volker Kriegel zu hören. Viel Beachtung fanden auch seine Aufnahmen und Konzerte zusammen mit dem Lyriker Peter Rühmkorf unter dem Titel "Phönix voran!"
Nach Hamburg geholt hatte den Vibraphonisten einst der Pianist und Rundfunkmann Michael Naura, in dessen Band Schlüter lange spielte. Naura starb im Februar 2017, im Alter von 82 Jahren. Beide Musiker gehörten zu einer Generation, die in der Bundesrepublik nach 1945 viel dafür tat, den Weg für eine eigene, kreative Jazz-Szene zu ebnen. Jazz war nach dem Zweiten Weltkrieg der Soundtrack zur wiedergewonnenen Demokratie – eine Musik, die den Geist der Freiheit verströmte, die für Individualität und frische Inspiration nach den Jahren der geistigen Gleichschaltung stand. Wolfgang Schlüter, der bis in die jüngste Zeit auf der Bühne stand, trug bei seinen Auftritten genau diesen Spirit immer noch in die Welt. Seine unbeirrt swingende Musik feierte stets musikalische Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit mit der Lust von einem, der diese Töne jedes Mal neu entdeckte. In den letzten Jahren ertastete er sich manchmal förmlich den Weg zur Bühne, denn Schlüters Sehvermögen hatte stark nachgelassen. Sobald er jedoch anfing zu spielen, fiel jede Art von Beschwerlichkeit ab: Die Töne begannen zu swingen und zu schweben, wie man es von diesem Musiker stets gewohnt war – von einem, der wie wenige den Jazz und dessen Freiheitsgefühl vermitteln konnte.
Auf seiner Homepage ist noch ein Konzert angekündigt, das Schlüter am 29. Dezember im Hamburger "Birdland" geben wollte. Oben abgebildet ist der Musiker mit schwarzer Sonnenbrille, Basecap und weißem Bart: ein zeitgemäß cooles Styling – typisch für einen, der stets von Kommunikationsdrang und Neugier getrieben war. Den Anschluss an die Zeit wollte Schlüter nicht verlieren, zugleich war er ein fesselnder Botschafter der Aufbruchsjahre des modernen Jazz im Westen Deutschlands. Im Jahr 2013 erschien im Selbstverlag Wolfgang Schlüters Autobiographie mit dem Titel "A - One – Two – Three – Four … Once More" und dem Untertitel "Höhen und Tiefen eines Jazzmusikerlebens": eines Lebens, vor dem sich viele Fans und Kenner jetzt verneigen.
Sendung: "Leporello" am 13. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK