Unser Autor ist fast 30 Jahre nach 1968 geboren. Er stellt sich vor: John Cage, Jimi Hendrix, Limpe Fuchs und andere Protagonisten der Musikszene der späten 60er-Jahre hätten sich an einem schönen Frühlingsmorgen im Café getroffen. Eine Annäherung an ein Lebensgefühl.
Ein sonniger Tag Anfang April 1968. Die Luft ist vom Frühling und den neuen Gedanken elektrisiert. Auf der Straße liegen noch Fetzen der Banner von der gestrigen Demo. Der Wind heult "Mary" und was von Freier Liebe. Zeit für Kaffee. Die kleinen Stühle auf der gemütlichen Terrasse am Gehsteig eines des gemütlichen Lokals sind beliebt. John Lennon und sein alter Freund John Milton Cage betrachten die Spuren des gestrigen Abends.
"Ach John, vergiss das. Im Chaos liegt die Ordnung. Würden wir uns endlich selbst organisieren, hätten wir keine politischen Probleme", erwidert Cage.
Lennon: "Vielleicht hast du ja recht; ich wünschte, dass wir in Harmonie miteinander leben könnten. Gebt dem Frieden eine Chance!"
Ein junger Mann mit Afro und Stirnband läuft vorbei und stößt aus Versehen Cage an der Schulter an.
Hendrix: "Sorry, mein Freund."
Cage: "Ach was, das war gewollter Zufall, kein Problem. Mach dich frei aus deinem Käfig und bestell dir erstmal entspannt einen Tee."
"Na meine Herren, gehören Sie wohl auch zum Establishment, was?", lacht Degenhardt.
Hendrix verdreht die Augen und setzt zum Luftgitarren-Inferno an. Er singt lauthals: "Come on down hard on me baby – Show me that I'm your lover man!"
Das lässt sich die hübsche barbusige Frau, die im ersten Stock die Blumen vor dem Fenster gießt, nicht zweimal sagen und stürmt hinunter. Unten angekommen, klopft ihr Cage jovial auf die Schulter und sagt: "Ihr jungen Hellhörigen, sprießt ja aus allen Löchern, wie die Pilze!"
Lennon lacht.
Limpe: "Ma macht hold des, was ma ko."
Lennon: "Yo, ko! Was in aller Welt bildest du dir ein, in das Gesicht der Liebe zu lachen!"
Limpe: "Anima heißen wir, Tonalität bekomme ich nur durch Materialien, der Rest ist alles neu!"
Cage (holt einen Champignon aus der Jackentasche): "Darauf einen Pilz!"
Hendrix (winkt dem Kellner): "Hey Joe!"
Degenhardt: "Und zwei Pils."
Lennon: "Und einen Instant Karma."
Alle: "Prost!"
Der Autor weiß, dass er nur bruchstückhaft die Ideen und den Geist von 68 in dieser kleinen, fiktiven Szene abbilden konnte. Er findet aber: Wir sollten auch öfter mal auf den kleinen Stühlen sitzen und diskutieren, den Gedanken freien Lauf lassen. Versuchen wir, wieder mehr zu wagen, nicht in starren Systemen zu denken, trauen wir uns, stattdessen anzuecken und immer raus mit der Meinung. Im Zeichen von Toleranz, Liebe und Zuversicht!
Michael Paul Thelonious Hamel (Jahrgang 1997) ist Hospitant in der Redaktion von BR-KLASSIK. Gemeinsam mit Hannah Weiss gestaltet er auch eine Hörfunk-Serie zur 68er-Bewegung und ihrer Wirkung in der Musik - zu hören vom 9. bis zum 13. April täglich um 16.40 Uhr in Leporello auf BR-KLASSIK.
Folge 1: Musik geht auf die Straße!
Folge 2: Anarchie im Experimentalstudio
Folge 3: Revolution auf der Opernbühne
Folge 4: Hey Du, Professor!
Folge 5: Peace, Love und ganz viel Schlamm
Die Zitate stammen aus bzw. sind inspiriert von:
Richard Kostelanetz: John Cage im Gespräch. Zu Musik, Kunst und geistigen Fragen unserer Zeit. DuMont Reiseverlag, Ostfildern (Oktober 1993)
Jimi Hendrix: Songtext "Come Down Hard On Me"
Songtext "Instant Karma", aus: Gimme some truth – das endgültige John Lennon Songbook, Lizenzausgabe mit Genehmigung des Pendragon Verlages, Bielefeld für die Bertelsmann Club, GmbH, Gütersloh
Zitate von Limpe Fuchs und Franz-Josef Degenhardt aus dem BR-KLASSIK Feature von Ulrike Zöller.