Seit sechseinhalb Jahrzehnten wird aus dem BR-Studio Franken das Tafel-Confect gesendet. Was als halbstündige Sendung für eine kleine Gemeinde von Alte Musik-Fans begann, hat sich zur langlebigsten Sendereihe des Bayerischen Rundfunks entwickelt. Eine Zeitreise durch 65 Jahre.
Bildquelle: BR-Studio Franken
Was hatten sie sich bloß dabei gedacht, die Herren Radiomacher? Sicherlich mit den besten Absichten hatten sie in den 1920er-Jahren damit begonnen, Hörfunkprogramme zu produzieren und auszustrahlen. Durch leere Luft sollten die Menschen mit Neuigkeiten aus aller Welt und – vor allem zur Unterhaltung – mit Musik versorgt werden. Damals dachte wohl niemand daran, dass diese Neuerung einer uralten Tradition den Garaus machen würde: dem häuslichen Musizieren.
Bildquelle: BR-Studio Franken Willy Spilling, den ersten Abteilungsleiter Musik des Studio Nürnberg, trieben diese Gedanken Anfang der 1950er-Jahre um – so jedenfalls erinnerte sich sein damaliger Assistent und musikalischer Mitstreiter Josef Ulsamer 1975: "Dr. Spilling erkannte, dass die Schuld an der Hausmusizier-Flaute nach dem Krieg zum großen Teil der Rundfunk hatte." Was konnte getan werden, um diese Schuld zu begleichen? Spilling wollte die Lust am Musizieren zu Hause mit einer Rundfunksendung neu beleben – ausgerechnet. Nach stundenlangen gemeinsamen Sitzungen in Spillings Büro, so Ulsamer weiter, reifte schließlich die Idee zum Tafel-Confect, damals "Musikalisches Tafel-Confect" genannt. Das Konzept der sonn- und feiertäglichen Sendung: die Präsentation von Musikstücken aus dem Mittelalter bis hin zur Neuzeit, gewürzt mit einer Prise Humor. Hauptaugenmerk sollte auf kurzen, fast – und manchmal auch ganz – vergessenen Stücken und Komponisten liegen, neu eingespielt von Solisten aus der Region.
Die Bezeichnung "Tafel-Confect" stammt von den gleichnamigen Musiksammlungen der Barock-Komponisten Wolfgang Carl Briegel und Johann Valentin Rathgeber. Letzterer war ein musikalischer und lebenslustiger Mönch im Kloster Banz, der auch selbst komponierte. Ab 1733 veröffentlichte Rathgeber unter dem Titel "Ohren-vergnügendes und Gemüth-ergötzendes Tafel-Confect" eine Sammlung von Liedern, die auf Banketten als Begleitung zur Nachspeise gespielt wurden, analog zu Tafelmusik beim Hauptgang. Es waren meist vergnügliche Stücke, teils mit recht derben Texten. Eine Verbindung der Wollust an weltlichen Genüssen mit der Erhabenheit künstlerischer Erbauung. Und Inspiration für Banz-Liebhaber und Genussmensch Willy Spilling.
Natürlich diente das alles nicht nur dazu, das schlechte Gewissen des Nürnberger Musik-Chefs Spilling zu beruhigen. Große Produktionen der sogenannten Alten Musik entstanden damals ausschließlich in München, entsprechend bekannt waren Interpreten und auch die Kompositionen selbst. Auch in Nürnberg gab es viele Musiker, allerdings "nicht weltberühmt, aber gut", erzählte 1985 Helmut Goldmann, damals verantwortlicher Redakteur des Tafel-Confects. Ihnen eine Plattform zu bieten, das sei ein Hauptgrund für die Einrichtung der Sendung gewesen. Erfahrung mit Sendungen über Alte Musik hatte man in Nürnberg zudem bereits gesammelt.
Das erste Musikalische Tafel-Confect wird am 2. November 1952 ausgestrahlt, damals noch im aus Nürnberg gesendeten zweiten Hörfunkprogramm des Bayerischen Rundfunks. Das in der Sendung angebotene musikalische Spektrum von Mittelalter bis Spätromantik kommt bei den Hörern aber gar nicht gut an. "Ab der Klassik schalten wir ab", ist in einer der vielen Zuschriften zu lesen, von denen Tafel-Confect-Mitbegründer Josef Ulsamer 1975 zu berichten wusste. Deshalb ist bald Schluss mit Spielmannszügen und Strawinski in einer Sendung. Die Macher beschränkten sich nach einigen Sendungen auf Musik aus der Zeit vom 12. bis ins späte 18. Jahrhundert. Das neue Konzept schlägt ein, wie wiederum Briefe von Zuhörern bestätigen, die Nürnberg sogar aus der DDR erreichten.
"Gute Leute aus der Region, die damals noch in Nürnberg wirkten, waren die Kerngruppe für das Tafel-Confect", erinnert sich Willy Spillings Assistent Josef Ulsamer 1975 an die Anfangszeit. Er selbst war eine treibende Kraft in Sachen Alte Musik. Er gilt als einer der Ersten in der "historischen Aufführungspraxis", eine Koryphäe des Musizierens mit originalen Instrumenten. Der Musikwissenschaftler nahm ein gewaltiges Repertoire auf – mangels eigener Ausstattung zunächst mit geliehenen Pretiosen aus der musikhistorischen Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg, später mit Instrumenten, die er anhand historischer Abbildungen selbst nachbaute.
Gemeinsam mit seiner Frau Elza van der Ven-Ulsamer und dem Ulsamer-Collegium erarbeitete er sich weltweit einen hervorragenden Ruf in seinem Fach. Und legte den Grundstein für den Erfolg desTafel-Confects. "Als wir sahen, dass es eine Resonanz fand, wie es bei einer E-Musik-Sendung nicht bekannt war", so Ulsamer, "haben wir uns im Laufe der 1950er-Jahre zu einem Spezialitätenstudio der Alten Musik entwickelt." Dieser Ruf brachte Interpreten von Weltruhm nach Nürnberg – "aus Kollegialität und Freundschaft", war Ulsamer überzeugt. Denn angemessene finanzielle Anreize konnte das stets klamme Studio Nürnberg kaum bieten.
Bildquelle: BR-Studio Franken In den Anfangsjahren waren Willy Spilling und Josef Ulsamer gemeinsam zuständig für die Programmgestaltung der Sendung. Sie versammelten Musiker in Nürnberg, reisten nach Italien, um den Klang historischer Orgeln aufzunehmen, spielten eigenhändig Stücke ein und moderierten das Tafel-Confect. Bis zur 500. Sendung 1962 entstanden so 750 Kilometer Bandmaterial. 1965 fand die Zusammenarbeit mit dem Tod Spillings ein jähes Ende. Zwei Jahre später wechselte Ulsamer an den Gamben-Lehrstuhl der Musikhochschule Würzburg. Die nachfolgenden verantwortlichen Redakteure führten die Tradition des sonn- und feiertäglichen Musikalischen Tafel-Confects fort. Es hat seinen Sendeplatz trotz zahlreicher Programmreformen behalten und gilt inzwischen als älteste Sendereihe des Bayerischen Rundfunks. Natürlich kam es über die Jahrzehnte immer wieder zu Veränderungen: Die Sendung läuft längst auf BR-Klassik, zudem werden die einzelnen Stücke nicht mehr nur angekündigt, sondern konsequent anmoderiert.
Mit der Alten Musik-Szene änderte sich auch die Musik im Tafel-Confect. Die ursprüngliche Intention Spillings, die Förderung des häuslichen Musizierens, ging im Laufe der Zeit verloren. Gleich blieb dagegen das Konzept der Sendung: Auch nach 65 Jahren und mehr als 3.000 Folgen werden kleine Köstlichkeiten für den vergnüglichen, mittäglichen Hörgenuss präsentiert. Weiterhin guten Appetit!
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 1. November 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK