Ein Trauermarsch, der mehr zum Tänzeln geeignet scheint, auch sonst wenig Pomp und Pathetik: Das ungewöhnliche Requiem von Jean Gilles begleitete Könige in den Tod und ist nun auf einer neuen CD erschienen, aufgenommen in Versailles.
Bildquelle: Chateau de Versailles Spectacles
Ein seltsamer Beginn, den sich Jean Gilles da ausgedacht hat für sein Requiem. Eine Art Trauermarsch, aber ganz anders als der später so berühmte von Chopin. Kein Pomp, keine gravitätische Feierlichkeit. Eher ein ratloses Schulterzucken über das unvermeidliche Schicksal samt Andeutung eines stillen Seufzers. Wohin sie wohl so leichtfüßig schlendern, die armen Seelen der Verstorbenen?
Ein Trauermarsch, der mehr zum Tänzeln geeignet scheint? Erklang aber auf zahlreichen Trauerfeiern für bedeutende Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts, etwa für Jean-Philippe Rameau, für den polnischen König Stanislaus Leszczynski und für Ludwig XV. von Frankreich – und das noch fast 80 Jahre nach seiner Entstehung. Also wahrlich ein epochales Werk von Jean Gilles, der jung starb und uns daher nicht viel hinterlassen hat. Seine Totenmesse ist nun auf einer neuen CD beim Label Chateau de Versailles Spectacles erschienen, zusammen mit der Motette "Domine Deus meus".
Der Legende nach hat Jean Gilles das Requiem 1697 für eine hochstehende Persönlichkeit in Toulouse geschrieben. Deren Angehörige wollten die Kosten einer aufwändigen Trauermusik aber nicht bezahlen, also versiegelte Gilles die Partitur und verfügte, dass das Werk erst zu seiner eigenen Bestattung uraufgeführt werden sollte. Heute existiert diese eigenhändige Partitur nicht mehr. Da trifft es sich gut, dass in Versailles ein versiertes Forschungsinstitut ansässig ist, das Centre de musique baroque de Versailles. Dort hat man versucht, aus den späteren Bearbeitungen die ursprünglichen Intentionen von Jean Gilles herauszuschälen.
Das Forschungszentrum in Versailles unterhält auch einen eigenen Chor samt Knabenstimmen, der sich an der vokalen Praxis der Chapelle Royale in Versailles orientiert. Fabien Armengaud ist Leiter dieses Chors und dirigiert ihn auf der CD zusammen mit dem Barockensemble Les Folies françoises und vier herausragenden Gesangssolistinnen und Solisten. Gilles galt schon bei seinen Zeitgenossen vor allem als Melodiker, und das unterstreicht die Interpretation durch eine fein abgestimmte Dynamik. Komplexe Satzstrukturen sind transparent ausbalanciert, intime Momente subtil ausgeleuchtet – eine CD nicht nur für den trüben Trauermonat November.
Jean Gilles
Les Folies francoises; Les Pages & les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles; Leitung: Fabien Armengaud
Label: Chateau de Versailles Spectacles
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 19. November 2023, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK