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Carillon Instrument mit Tradition

Was ist das: Ein Instrument, dessen Spieler man nie sieht, das man aber in der ganzen Stadt hört? Richtig, ein Carillon! Und dann gibt es da noch ein paar Eigenschaften, die dieses vor allem in Holland und Belgien verbreitete Instrument zu etwas ganz Besonderem machen.

Bildquelle: © Klankbeeld

"Das Carillon kann man eigentlich keiner Instrumentengruppen zuordnen. Es ist eine Kombination aus Tasteninstrument - weil es mit einer Klaviatur und einem Pedal gespielt wird, ähnlich wie bei einer Orgel - und Perkussionsinstrument, weil man Klöppel von Glocken betätigt", erklärt Jürgen Buchner, Carilloneur am Instrument der Neubaukirche in Würzburg. Und das Carillon ist ein Instrument mit Tradition: Schon im 12. Jahrhundert wurden zu wichtigen Anlässen Glocken in rhythmischen Mustern geläutet, und seit etwa 1480 wurden in den Niederlanden dann erste Turmuhren ausgebaut, um auf ihnen kleine Melodien zu spielen. Einige Glöckner begannen schließlich, auf den Glocken wirklich zu musizieren - und wurden so zu Carilloneuren, oder auf Niederländisch Beiaardieren.    

Die Klaviatur - Niederländisch stokkenklavier - ist aufgebaut wie die eines Klaviers: längere Ganztöne, darüber kürzere Halbtöne. Nur sind da statt zarter Tasten dicke Stöcke die der Beiaardier mit der Faust anschlägt, oder, bei Intervallen, mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Die Pedale werden mit der Fußspitze gespielt und Seile oder Stahldrähte übertragen die Kraft auf den Glockenklöppel. "Und man kann das ganz dynamisch tun, ähnlich wie bei einem Klavier."

Technischer Fortschritt im Glockenbau

Erst um 1640 allerdings entwickelte eine Glockengießerfirma in Amsterdam eine Technik, um Glocken exakt zu stimmen - was die Verbreitung des Carillons enorm beförderte. In vielen Städten erklangen sie in der Folge vier- bis achtmal pro Stunde - und übrigens ziemlich laut.

"Das Carillon ist ein Instrument, was ohne jegliche Art elektronischer Verstärkung von einer Kleinstadt gehört werden kann. Das verlangt natürlich eine gehörige Portion Selbstdisziplin, denn wenn man falsch spielt, dann hört es gleich jeder. Und das kann besonders peinlich werden, wenn man ein Arrangement von einem bekannten Stück spielt und das sich plötzlich ganz anders anhört, als der Zuhörer es eigentlich kennt."

Und damit wären wir beim Repertoire. Originalkompositionen für Carillons gibt es etwa seit Beginn des 18. Jahrhunderts. Aber, so Buchner: "Wir spielen eigentlich alles, was uns zwischen die Finger kommt, sofern es sich auf das Instrument arrangieren lässt. Das Repertoire wird eigentlich nur von den spieltechnischen Grenzen des Einzelnen eingeschränkt."

Niedergang durch Uhrenmacher

Das Geheimnis der präzisen Stimmung von Glocken wurde übrigens streng gehütet, und dies war einer der Gründe, warum die Carillon-Blüte gegen Ende des 18. Jahrhunderts langsam welkte: Die wenigen eingeweihten Glockengießer starben aus. Außerdem bevorzugte die bürgerliche Musikpflege handlichere Instrumente, und dazu besaßen immer mehr Menschen Uhren und waren nicht mehr auf öffentliche Zeitansagen angewiesen.

Erst 1922 gründete Jef Denyn, Stadtcarilloneur in Mechelen, eben dort die Koninklijke Beiaardschool - bis heute eine international bedeutende Ausbildungsstätte, an der übrigens auch Jürgen Buchner seine Kunst gelernt hat. Und seit einigen Jahrzehnten werden sogar wieder neue Carillons gebaut und so partizipiert auch dieses Instrument an der Begeisterung der Menschen für historische Aufführungspraxis. Nur, bemerkt Buchner dazu: "Man spricht ja heute auch immer von historischer Spielweise, die man erforschen muss - wir brauchen sie nicht zu erforschen: Wir spielen seit 500 Jahren nicht anders!"

Sendungsthema aus "Forum Alte Musik" vom 11. Dezember 2021, 22:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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