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Natürlich gibt es Empfindsamkeit zu allen Zeiten in der Musikgeschichte - vom Liebeslied der Minnesänger des Mittelalters bis zum "Torch Song", dem sentimentalen Liebeslied der Pop-Kultur unserer Tage. Doch im 18. Jahrhundert ist Empfindsamkeit ein Stilbegriff. Und wie fast alle musikalischen Stil- und Epochenbegriffe kommt er von einer anderen Kunstgattung. In diesem Fall aus der Literaturgeschichte, wo er spezifische Prosa und Lyrik der Zeit zwischen 1740 und 1790 benennt.
"A Sentimental Journey Through France and Italy" - so heißt ein Roman des Engländers Laurence Stern. Der Musiker und Verleger Johann Christoph Bode hat ihn 1768 ins Deutsche übertragen, und auf Anregung von Lessing übersetzte er "sentimental" mit "empfindsam". Der Begriff war im Spiel und wurde angewendet auf Literatur, die melancholische Tränenseligkeit, Freundschaftskult und sentimentale Natur- und Nachtschwärmerei thematisierte. Klopstocks Heldengedicht "Der Messias" markiert einen Höhepunkt der literarischen Empfindsamkeit, und auch Goethes Sturm-und-Drang-Briefroman "Die Leiden des jungen Werthers" von 1774 trägt Züge des Empfindsamen Stils.
In der Musik ist die Empfindsamkeit eine Erscheinung der Vorklassik, dabei eine Intensivierung des Galanten Stils. All das Pathos, der Prunk und die Pracht des Spätbarocks wurde ersetzt durch eine neue Einfachheit, eine neue Empfindsamkeit. Galionsfiguren des neuen Stils waren Giuseppe Sammartini in Italien, Jean-Jacques Rousseau in Frankreich, Dittersdorf und Wagenseil in Österreich und die Bach-Söhne in Deutschland, allen voran der Weltmann Johann Christian. Er spielte die Empfindsamkeit voll aus - in der Seufzermelodik seiner Kantabilität, im Galanten seiner Gesten, mit seinem natürlichen Charme. Empfindsamer Stil - die Charme-Offensive des 18. Jahrhunderts.