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Stichwort - Libretto Textvorlage eines größeren Vokalwerkes in Dialogform

Bildquelle: London British Library

Das Stichwort vom 24. Juli 2016

Libretto

Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri mögen Konkurrenten, ja vielleicht sogar Feinde gewesen sein, aber in einem waren sie sich völlig einig. In einem apodiktischen Handstreich erledigten beide den alten Streit, was denn nun in einer Oper wichtiger sei: der Text oder die Musik.

"Bey einer Opera muss schlechterdings die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn."

Das schrieb Wolfgang Amadeus Mozart 1781 an seinen Vater als er sich mal wieder über einen Librettisten ärgerte. Und Antonio Salieri komponierte fünf Jahre später gleich eine ganze Oper zu dem Thema. Sie trug den programmatischen Titel:

"Prima la musica e poi le parole - Erst die Musik und dann die Worte"

Salieris Librettist Giovanni Battista Casti stellte sich damit quasi eigenhändig ins Abseits und erledigte den Streit für die kommenden zweihundert Jahre. Erst Richard Strauss diskutierte in seiner letzten Oper Capriccio wieder die Frage, ob denn nun der Text oder die Musik für das Gelingen einer Oper wichtiger sei. Er ließ sie unentschieden ausgehen. Denn dass ein Librettist einem Komponisten ebenbürtig sein kann, hatte er bereits durch seine enge Zusammenarbeit mit dem Dichter Hugo von Hofmannsthal in sechs großartigen Opern bewiesen.

Dabei war diese Frage, als die Oper vor über 400 Jahren in Italien erfunden wurde, noch überhaupt kein Streitpunkt. Den Vorrang vor der Musik hatte der Text. Im dramma per musica diente die Musik selbstverständlich dem Text und verstärkte mit ihren Affekten lediglich seine Deklamation. Das Rezitativ als Mittel dramatischen Ausdrucks war geboren. Und nicht mal der große Claudio Monteverdi hat den Vorrang des Wortes vor der Musik angezweifelt.

"Die Sprache sei Herrin der Harmonie, nicht Dienerin."

Das Libretto wählt den Stoff, erzählt eine Geschichte und setzt ihn in Verse, die dann im zweiten Schritt vom Komponisten vertont werden. In der Alten Musik war der Librettist noch ein Star und ebenso berühmt wie der Tonsetzer. Das galt für Lullys Librettisten Philippe Quinault, für den Wiener Hofkomponisten Apostolo Zeno und ganz besonders für seinen Nachfolger Pietro Metastasio.

"Ich wage zu behaupten, dass die Tagesankündigung ‚geschrieben von Metastasio' allein schon ausreichen würde, um ein Theater zu füllen."

Das schrieb der irische Autor und Journalist Oliver Goldsmith 1759 und hatte sicherlich recht damit. Die europäischen Barockkomponisten rissen sich um Metastasios Operntexte. La Clemenza di Tito wurde allein 37 Mal vertont, und Olimpiade sogar unfassbare 64 Mal. Für Metastasio war daher noch ganz klar, wer der Chef in Sachen Oper ist.

"Wenn die Musik in einer Oper in Konkurrenz zur Dichtung die Hauptrolle beansprucht, so zerstört sie diese und sich selbst. Es wäre eine kolossale Absurdität, würde die Kleidung mehr Aufmerksamkeit beanspruchen, als die Person für die sie angefertigt wurde."

Zwischen Metastasios Selbstverständnis von 1765 und Mozarts Rede von der Poesie als "gehorsame Tochter der Musick" liegen gerade einmal 16 Jahre - aber das Ende einer Epoche. Die häufig aus Stereotypen zusammengeschusterten Barocklibretti mit ihren hanebüchenen unlogischen Handlungen, theaterdonnernden Bühneneffekten und Hochleistungsarien-Shows hatten sich überlebt. Nur selten konnten sich Librettisten danach noch einen großen Namen machen wie etwa Lorenzo da Ponte bei Mozart oder Arrigo Boito bei Verdi. Weil für den Dichter als Librettist weder Ansehen noch großes Geld zu erwerben war, schrieben sich manche Komponisten ihre Libretti selber. Hector Berlioz, Albert Lortzing oder Alban Berg taten es, am konsequentesten und erfolgreichsten aber Richard Wagner.

Für den Dramatiker Peter Hacks übrigens spielte die Frage des Primats von Text oder Musik in der Oper keine Rolle mehr. Er fand eine eher lakonische Definition.

"Ein Libretto ist eine Menge von Worten und gelegentlich bei Reclam zu kaufen."

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