Bildquelle: Andreas Praefcke
Das Stichwort vom 6. März 2016
Musica reservata
Musica reservata - das heißt zu Deutsch schlicht reservierte Musik. Doch was konkret damit gemeint ist - darüber streiten sich die gelehrten Geister seit fast 500 Jahren. Schon in den zwölf erhaltenen Quellen aus der Zeit zwischen 1552 und 1625, in denen der Begriff auftaucht, finden sich nicht nur unterschiedliche, sondern gar vollkommen gegensätzliche Aussagen. Da geht es mal um gesteigerten Ausdruck und intensive Textausdeutung, mal um chromatisch oder rhythmisch besonders komplexe Musik, besonders reich oder gar nicht ornamentierte Kompositionen, um Musik für einen Solisten, oder einer wichtigen Persönlichkeit gewidmete, aber auch speziellen Hörerkreisen vorbehaltene Musik. Kurz: Es ist ein ziemliches Durcheinander.
Die wohl bekannteste historische Deskription des Terminus findet sich bei Samuel Quickelberg, einem Humanisten niederländischer Herkunft, der am Münchener Hof lebte und um 1560 herum über Orlando di Lassos Bußpsalmen schrieb:
Lassus setzte diese Psalmen höchst angemessen in Musik, indem er Gedanken und Worte je nach Notwendigkeit in beweinenden und klagenden Tönen besang, die Kraft der individuellen Affekte auszudrücken verstand und den Gegenstand geradezu lebendig vor Augen führte, so dass man nicht zu sagen weiß, ob nun die Süße der Affekte die klagenden Töne wundersam steigert, oder die trauernden Töne ihrerseits der Süße der Affekte größere Zier hinzufügen. Diese Art der Musik nennt man Musica reservata
In einem anonymen Traktat, der um 1571 auf der Synode von Besançon entstand, geht es um einen anderen Aspekt: "Man trachte, die Stimmen in verschiedenartiger und (wo möglich) gegensätzlicher Bewegung fortschreiten zu lassen, um in perfekter Konsonanz zu endigen und zu einem bestimmten Modus zurückzukehren. Doch in einem fortlaufenden Rhythmus sollst du die Kadenz meiden, so dass entsteht, was man Musica reservata nennt"
Die heute ob ihrer verschwörungstheoretischen Implikationen sicher beliebteste Interpretation des Begriffs findet man unter anderem in Nicola Vicentino's L'antica musica, wo der Komponist und Musiktheoretiker 1555 bemerkte, dass die chromatische und enharmonische Musik gebührenderweise zu anderem Zwecke reserviert ist, als die diatonische. Letztere wurde gesungen zum Ergötzen gewöhnlicher Ohren, bei öffentlichen Festen an öffentlichen Orten; während erstere zum Vorteile geübter Ohren bei privaten Unterhaltungen von Fürsten und Prinzen erklang, indem sie große Persönlichkeiten und Helden besang.
Für diese Theorie spricht auch die Tatsache, dass uns zwar nur spärliche Überlieferungen des Begriffs bekannt sind, er aber gleichzeitig in höfischen und adeligen Kreisen in Holland, Deutschland und Italien offensichtlich zur Umgangssprache gehörte. Klar ist: Die Quellen lassen verschiedenste Interpretationen zu. Und wahrscheinlich treffen alle für eine bestimmte Region, einen Komponisten oder einen Zeitabschnitt auch wirklich zu. Doch bei aller Vielfalt kann man zwei Fakten zweifelsfrei feststellen: Erstens, es handelt sich bei Musica reservata immer um in irgendeiner Weise neue und außergewöhnliche Musik, die oft gegen klassische Regeln verstieß, während sie nach neuen Ausdrucksweisen suchte. Und zweitens: reserviert im Sinne von zurückhaltend ist bei der Musica reservata sicher nicht gemeint