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Polyphonie Wenn jede Stimme ihren eigenen, individuellen Charakter hat

Sie ist die kunstvollste Ausprägung der Mehrstimmigkeit: die Polyphonie – die Vielstimmigkeit aus jeweils eigenständigen vokalen oder instrumentalen Stimmen. Kontrapunkt, Kanon, Fuge und Motette sind Techniken und Formen, im Rahmen derer sich Polyphonie entfaltet.

"Die Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach  | Bildquelle: picture-alliance/dpa

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Polyphonie - das Wort leitet sich her vom griechischen "polys" (viel) und "phōnē" (Ton, Laut oder Stimme). Als musikalischer Fachbegriff erscheint es erstmals um 1300. Die Anfänge der "Polyphonia" reichen jedoch bis ins 9. Jahrhundert zurück. Das Traktat "Musica enchiriadis" beschreibt sie als Singen in parallelen Quarten und Quinten, Organum genannt.

 Individuell profiliert, gleichberechtigt und eigenständig

Das Singen von Quart- und Quintparallelen war freilich nur eine Art potenzierte Einstimmigkeit. Erst die Notre-Dame-Schule - seit etwa 1160 - weist dann durch rhythmische Verselbstständigung der Stimmen die Richtung zu dem, was man als echte Polyphonie bezeichnen kann - ein Geflecht aus Stimmen, von denen jede einzelne individuell profiliert, gleichberechtigt und eigenständig ist, lauter unterschiedliche Charaktere gewissermaßen. Eine Hoch-Zeit erlebte die Kunst der Polyphonie im 15. und 16. Jahrhundert. Das Zeitalter der "klassischen Vokalpolyphonie" wurde sie genannt, repräsentiert durch Galionsfiguren wie Josquin Desprez, Orlando di Lasso und vor allem Palestrina, dessen Name zu einem Inbegriff des kunstvollen polyphonen Komponierens wurde. Das Wort vom "Palestrina-Stil" steht dafür als Synonym.

Eine Kehrseite der Vokalpolyphonie

Die Vielzahl kontrapunktischer Stimmen im polyphonen Satz hatte als Kehrseite die Tendenz zur Unverständlichkeit des gesungenen Wortes. Um 1600, beim Anbruch der Barockzeit, rückte die Polyphonie mit der Entstehung der Oper und des monodischen Stils in den Hintergrund. Der Tonsatz reduzierte sich nun auf Melodie und Begleitung, den Generalbass. Erst im weiteren Verlauf der Barockzeit werden Generalbass und Kontrapunkt verwoben.

Polyphonie im "freien" Kontrapunkt

Nach Palestrina steht der Name Johann Sebastian Bach für einen neuerlichen Gipfelpunkt des polyphonen Komponierens. Doch noch zu Lebzeiten Bachs kommt es abermals zur Abkehr von der polyphonen Satzkunst. Die Frühklassik bringt eine "Neue Einfachheit". Joseph Haydn ist es dann, der die motivisch-thematische Arbeit auf alle Stimmen ausdehnt und eine ganz neue Art von Polyphonie entwickelt - jenseits vom Palestrina-Stil, aber nicht weniger kunstvoll. "Freier Kontrapunkt" - bis heute wirkt er fort.

Sendungsthema aus "Forum Alte Musik" vom 26. Juni 2021, 22.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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