Manch Komponist läuft kurz vor seinem Tod nochmal zu Höchstform auf und schafft ein Werk von Bedeutung – genau wie der Schwan, der zu seinem letzten Gesang ansetzt.
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Das Stichwort vom 16. Juni 2019
Schwanengesang
Heinrich Schütz war Mitte 80, als er sich daran machte, den 119.Psalm zu vertonen, mit 176 Versen der längste Psalm des Alten Testaments. Elf doppelchörige Motetten sind daraus entstanden, er hängte noch ein Magnificat und eine Vertonung des Psalms 100 daran. Und - so hat es Schütz wohl selbst beschlossen, es sollte seine letzte Komposition werden. Er hat sie vollendet und verstarb ein Jahr darauf. Es wurde sein "Schwanengesang".
"An Anmut steht der Singschwan seinem (…) Verwandten entschieden nach. (…) Dagegen unterscheidet er sich sehr zu seinem Vorteil durch die lauttönende und verhältnismäßig wohlklingende Stimme, die man übrigens von fernher vernehmen muß, wenn man sie wie die Isländer mit Posaunentönen und Geigenlauten vergleichen will. "Die Stimme" sagt Pallas, "hat einen lieblichen Klang, wie den von Silberglocken; der Schwan singt auch im Fluge und wird weithin gehört. Was man vom Gesange des Sterbenden erzählt hat, ist keine Fabel, denn die letzten Atemzüge des tödlich verwundeten Singschwans bringen feinen Gesang hervor." Faber meint, er verdiene den Beinamen musicus zu behalten." (Brehms Tierleben)
So steht es in Brehms Tierleben. Der Schwan fasziniert von jeher: diese zur Gattung der Entenvögel zählenden Tiere bestechen durch ihre Eleganz und regen Dichter, bildende Künstler und natürlich auch Komponisten an. Und dann ist da eben noch diese seltsame Eigenschaft, dass die Tiere kurz vor ihrem Tod singen:
"Wenn bei starkem Frostwetter die Gewässer der See außerhalb der Strömungen nach allen Seiten mit Eis bedeckt sind, dann habe ich die langen Winterabende und ganze Nächte hindurch diese vielstimmigen Klagetöne in stundenweiter Ferne vernommen. Dieser eigentümliche Gesang verwirklicht in Wahrheit die für Dichtung gehaltene Sage vom Schwanengesang und ist oft auch in der Tat der Grabgesang dieser schönen Tiere; denn da sie im tiefen Wasser keine Nahrung ergründen können, so werden sie derart matt durch den Hunger, daß sie zum Weiterziehen keine Kraft mehr haben und dann oft, auf dem Eise angefroren, dem Tode nahe oder bereits tot aufgefunden werden." (Brehms Tierleben)
Als Schwanengesang wird in der Musik ein spätes Werk bezeichnet, oft das letzte, große, aussagekräftige Werk eines Komponisten. Bei Heinrich Schütz ist es der Psalm 119 mit einer Aufführungsdauer von knapp anderthalb Stunden. Auch von Franz Schubert gibt es einen Schwanengesang: eine Sammlung von 13 Liedern nach Gedichten von Rellstab und Heine, die erst posthum veröffentlicht wurde und dann den Titel "Schwanengesang" erhielt. Und Georg Philipp Telemann hat eine Trauermusik des Hamburgischen Bürgermeisters Garlieb Sillem komponiert, die er Schwanengesang überschrieben hat.
"Aber bis an ihr Ende lassen sie die klagenden und doch hellen Laute hören." Nach diesen Angaben läßt sich die Sage vom Schwanengesang auf ihr rechtes Maß zurückführen." (Brehms Tierleben)
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 16. Juni 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK