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Seconda pratica Alternative Kompositionspraxis

Mit der "Seconda Pratica" hat Claudio Monteverdi eine alternative Kompositionspraxis entwickelt: Eine plastische, lebendige, dramatische Textausdeutung durch die Musik ist ihm wichtiger als althergebrachte Kontrapunktregeln.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

"Ich streite nicht ab, dass die Entwicklung neuer Dinge nicht nur gut, sondern auch notwendig ist", schrieb der Musikgelehrte Giovanni Maria Artusi im Jahr 1600 an die Adresse von Claudio Monteverdi. "Aber erzähle mir erst, warum du diese Dissonanzen verwenden willst, wie die modernen Musiker sie verwenden. (…) Warum verwendest du sie dann nicht in der richtigen Weise, der Vernunft gemäß?"

Der so gescholtene ließ sich fünf Jahre Zeit und erwiderte dann im Vorwort seines fünften Madrigalbuchs: "Nichtsdestoweniger habe ich diese Antwort geschrieben, um klarzustellen, dass ich meine Sachen nicht aufs Geratewohl mache, und sobald ich diese Antwort überarbeitet habe, wird sie unter dem Titel ‚Seconda Pratica ovvero Perfettione della Moderna Musica' im Druck erscheinen."

Wahrhafter Ausdruck

Das angekündigte Buch ist nicht überliefert, aber Monteverdis Bruder Giulio hat dessen Ideen einige Jahre später konkretisiert und darauf hingewiesen, dass in der Sconda Pratica nicht die Kontrapunktregeln das entscheidende Kriterium seien, sondern der wahrhafte Ausdruck des Textgehaltes. Es komme darauf an, "die Rede zur Herrin des Tonsatzes, nicht zur Dienerin zu machen."

Artusis Kritik entzündete sich an Monteverdis Madrigal "Cruda Amarilli". So löst etwa der Ausruf "Ahi lasso!" - "Ich Armer" eine Kette von wahrlich schmerzhaften Dissonanzen aus, die Monteverdi nicht korrekt nach den Regeln einführt und auflöst, die aber eben durch den Schmerzensruf im Text begründet sind.

Epochenwandel

Monteverdi wollte keine Revolution lostreten, sondern nur eine alternative Praxis neben eine etablierte stellen. Er hat zwar das Wort "Seconda pratica" geprägt, sich diese Neuerungen in der Affektdarstellung aber nicht allein ausgedacht.

Die Wurzeln der Seconda Pratica liegen im Madrigal des 16. Jahrhunderts, in seiner plastischen Textausdeutung durch Dissonanzenreichtum, Chromatik und unerwartete Tonartwechsel - den sogenannten Madrigalismen: Mosaiksteinchen eines tiefgreifenden Epochenwandels, der sich besonders signifikant im Streit zwischen Artusi und Monteverdi widerspiegelte.

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 1. Oktober 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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