Das Kloster St. Gallen gewährt uns heute einen faszinierenden Einblick ins Mittelalter, sind dort doch Schriften und Noten von bis heute namentlich bekannten Mönchen erhalten – ein seltener Glücksfall.
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"Notker, Ratpert und Tuotilo waren ein Herz und eine Seele. Der Lehrer Marcellus führte sie zu den sieben freien Künsten, besonders zur Musik. Diese Kunst ist ursprünglicher als die übrigen Künste und schwieriger zu erlangen, doch in ihrer Anwendung lieblicher. In ihr brachten sie es zu solcher Meisterschaft, wie sie in ihren Werken sichtbar wird."
Das berichtet die St. Galler Klosterchronik über die drei herausragenden kulturellen Köpfe während der Blütezeit der Benediktinerabtei im 9. Jahrhundert. Es ist einer der wenigen Fälle, in denen wir die Schöpfer literarischer und musikalischer Werke aus dem frühen Mittelalter mit Namen kennen.
Den Universal-Gelehrten und Künstler Tuotilo rühmt die Chronik als:
"Meister der Relieftechnik und Malkunst, ein Musiker wie seine Gefährten, des Dichtens kundig in beiden Sprachen, meisterlicher Schöpfer von Versen und Melodien."
Der einflussreichste St. Galler Mönch auf musikalisch-literarischem Gebiet jedoch war Notker, der den Namen "Balbulus", "der Stammler", trug. Er schrieb Sequenzen, das heißt, er unterlegte Melodien aus dem Alleluia mit selbst gedichteten geistlichen Versen und machte sie so zu eigenständigen Gesängen. Notkers Sequenzen verbreiteten sich über ganz Europa und blieben jahrhundertelang im Repertoire von Klöstern und Kirchen lebendig.
Seinen Namen hat St. Gallen von dem irischen Mönch Gallus, der 612 an der Stelle des späteren Klosters eine Einsiedelei errichtete. 1805 löste der Kanton St. Gallen das Kloster auf, der Stiftsbezirk wurde später zum Sitz des Bistums St. Gallen. Bis heute liegt in der Stiftsbibliothek der reiche Schatz einer glanzvollen kulturellen Vergangenheit des Klosters: die Handschriften, die den Ruhm des St. Galler Scriptoriums im Mittelalter begründeten.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 23. Juni 2013, 13.05 Uhr auf BR-KLASSIK