Es ist eine der dauerhaftesten und vitalsten Gattungen der abendländischen Musikgeschichte. Seine erste Hochblüte erlebte es im späten 18. Jahrhundert, seine jüngsten Ausläufer reichen bis in unser 21. Jahrhundert: Das Streichquartett, das zugleich einen notorischen Prüfstein für höchste Kompositionskunst darstellt.
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"Man hört vier vernünftige Leute sich unterhalten, glaubt ihren Diskursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen." Goethes berühmtes Aperçu vom Streichquartett umschreibt zentrale Prinzipien der Gattung: zum einen den Charakter eines Gesprächs, in dem alle vier Teilnehmer gleichberechtigt zu Wort kommen und wichtiges zu sagen haben, zum anderen die Homogenität bei gleichzeitiger Individualität der Stimmen.
1829 hat Goethe seine Gedanken zum Streichquartett formuliert. Die Voraussetzungen und Anfänge der Gattung reichen viel länger zurück. Sie liegen in der Musiktheorie des 16. und 17. Jahrhunderts, die seit Palestrina die Vierstimmigkeit als das vollkommene Prinzip des musikalischen Satzes ansah. Die direkten Vorläufer des Streichquartetts datieren aus dem zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts und finden sich in den diversen Erscheinungen von Sinfonie, Sonate und Concerti "a quattro" in Italien, "à quatre" in Frankreich und von Quartett-Symphonien und Quartett-Divertimenti in Süddeutschland.
Die beginnende Loslösung vom Generalbass und das aufkommende Ideal eines homogenen Gesamtklangs bilden Voraussetzungen für die Entstehung des Streichquartetts. Die eigentliche Gründung vollzieht sich dann an zwei Orten etwa zur gleichen Zeit: gegen Ende der 1750er Jahre in und um Wien durch Joseph Haydn und um 1761 in Mailand durch Luigi Boccherini. Bei aller Individualität definieren diese beiden Komponisten das Streichquartett als das, was man darunter bis heute versteht: Einerseits einen instrumentalen Besetzungstyp, bestehend aus einem solistischen Ensemble von zwei Violinen, einer Bratsche und einem Violoncello, andererseits eine musikalische Gattung für diese Besetzung, wobei die Form dieser Gattung die Sonate ist. Das heißt: Ein Streichquartett ist - wie eine Symphonie oder eine Sonate - zumeist viersätzig: mit einem schnellen ersten Satz in Sonatenhauptsatzform, mit einem langsamen zweiten Satz in einer eher einfacheren Form, mit einem Menuett oder Scherzo als dritten Satz und mit einem Finale als vierten, wiederum in Sonatenhauptsatzform oder in Rondoform oder in einer Kombination aus beiden Formen.
Durch die Quartette von Haydn und Mozart und Boccherini, spätestens aber durch die von Beethoven avancierte das Streichquartett zur anspruchsvollsten Gattung, zur "Königsklasse" der Instrumentalmusik - oder, wie Donald Francis Tovey schrieb, "zur reinsten und höchsten Offenbarung der Kammermusik, wenn nicht der ganzen Musik überhaupt". Der Weg durchs 19. und 20. Jahrhundert bis in unsere Zeit war gewiesen.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 22. April 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK