Als Eingangs- und Ausgangsmusik der Gottesdienste der anglikanischen Kirche erlebte es im 17. und 18. Jahrhundert seine Hochblüte – das Voluntary, eine stilistisch und formal freie Instrumentalkomposition, zumeist für Orgel.
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Als sich Prince Charles und Lady Diana Spencer im Sommer 1981 in der Londoner St Paul's Cathedral das Jawort gaben, erklang auch ein Stück, das allgemein als Begleitmusik zu Hochzeiten höchst beliebt ist. "The Prince of Denmark's March" heißt es und wurde um 1700 von Jeremiah Clarke komponiert. Bekannt wurde es jedoch als eine lange Zeit irrtümlich Henry Purcell zugeschriebene Komposition - dem "Trumpet Voluntary", einem Voluntary für das Trompeten-Register der Orgel.
Im alltäglichen englischen Sprachgebrauch ist das Wort "voluntary" ein Adjektiv. Es bedeutet freiwillig, aber auch beliebig und spontan. Im Sinne der beiden letzteren Bedeutungen ist das Wort als Substantiv in der Fachsprache der Musik zu verstehen: In der Liturgie der anglikanischen Kirche ist das Voluntary ein musikalisches Element ad libitum, das heißt es kann nach Belieben eingesetzt werden, und zwar zumeist als Musik vor und nach dem Gottesdienst. Spontan ist das Voluntary insofern, als es aus der Praxis des Improvisierens und des Aus-dem-Stegreif-Musizierens der Organisten kommt - die freie, improvisatorische Faktur ist neben der gottesdienstlichen Funktion das Hauptcharakteristikum eines Voluntary.
Als Bezeichnung für ein Instrumentalstück findet sich das Substantiv Voluntary erstmals im so genannten "Mulliner Book", einer Anthologie von Stücken für Orgel und andere Tasteninstrumente, die in England zwischen 1550 und 1575 zusammengestellt wurde. Voluntary bedeutet seinerzeit das gleiche wie Fancy (das englische Wort für Fantasia) oder wie Verse (die Bezeichnung für ein kurzes Orgelstück im fugierten Stil). Führende Komponisten in dieser Frühzeit sind William Byrd und Thomas Weelkes. Ein bedeutender Komponist von Voluntaries im 17. Jahrhundert ist John Blow. Sein Voluntary über den Hymn Tune "Old Hundreth" hat die Form einer Choralvariation, wie man sie aus der deutschen Kirchenmusik kennt. Weitere große Namen sind Matthew Locke und der schon genannte Henry Purcell.
Im 18. Jahrhundert nähert sich das Voluntary in mehrsätzigen Konzeptionen der Suite und der Sonate in Miniaturformaten an. Die zweisätzige Anlage ist gleichwohl die Regel - so bei John Stanley, einem englischen Komponisten mit fast den gleichen Lebensdaten wie Christoph Willibald Gluck und Carl Philipp Emmanuel Bach. Die Voluntaries von Stanley beginnen mit einem langsamen ersten Teil in freier Form, gefolgt von einem raschen zweiten Teil im fugierten oder konzertierenden Stil.
Im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts verliert das Voluntary an kompositionsgeschichtlicher Bedeutung. Wie in seiner Anfangszeit vermischt es sich mit anderen Genres wie der Transkription von bekannten Melodien oder dem freien Fantasieren auf der Orgel. Was all dies vereint? Es ist die Verwendbarkeit im Gottesdienst - wie von allem Anfang an.
Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 21. April 2019, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK