"Artemis trifft Anthea“ - Anthea Kreston ist die neue zweite Geige im Artemis Quartett. Gemeinsam mit dem Cellisten des Quartetts, Eckart Runge, ist sie ins BR-KLASSIK-Studio zum Interview gekommen. Am 23. November tritt das Quartett in München auf.
BR-KLASSIK: Erinnern Sie sich an den Moment, als Sie erfahren haben, dass es beim Artemis Quartett eine freie Stelle gibt?
Anthea Kreston: Ich denke, die ganze Welt hat mitbekommen, dass Friedemann Weigle aus dem Leben gegangen ist, und alle haben mitgefühlt. Als ich davon erfahren habe, war ich einfach nur traurig und hatte gar keinen Gedanken daran, mich bei Eckhard zu melden. Es sind viele Monate vergangen, bis ich mir überhaupt vorstellen konnte, das Quartett zu kontaktieren. Ich kannte das Artemis Quartett ja schon in seiner ersten Besetzung, als wir alle noch studiert haben, und als mein Quartett nach München gekommen ist, um beim ARD Musikwettbewerb mitzuspielen.
BR-KLASSIK: Sie hatten mit Ihrem Avalon Quartett im Jahr 2000 den 2. Preis beim ARD Musikwettbewerb gemacht.
Anthea Kreston ist seit diesem Jahr zweite Geigerin im Artemis Quartett. | Bildquelle: © Nikolaj Lund Anthea Kreston: Ja, und damals hatten wir vom Avalon Quartett mit den Musikern des Artemis Quartetts einige Begegnungen. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, mich beim Artemis Quartett zu bewerben. Und dann, nachdem ich mir sicher war, dass ein so ein gutes Quartett wie das Artemis Quartett bestimmt schon jemanden Neuen gefunden hat - nach Monaten und Monaten -, das war im November letzten Jahres oder Dezember, da habe ich mich gefragt: Könnte ich mich nicht vielleicht doch bewerben? Obwohl das aus allen Winkeln her betrachtet, ein völlig verrückter Gedanke war: von meinem persönlichen Blickwinkel aus, von deren Blickwinkel aus, vom kulturellen Blickwinkel aus.
BR-KLASSIK: Sie meinen, als Amerikanerin in ein deutsches Quartett zu kommen?
Anthea Kreston: Ja, das Artemis Quartett ist so ein deutsches Quartett. Warum sollten sie eine Amerikanerin dazu holen?
BR-KLASSIK: Was meinen Sie mit deutschem Quartett?
Anthea Kreston: Den charakteristischen Klang. Er ist kraftvoll, intellektuell und leidenschaftlich zugleich. Sehr gut ausbalanciert. Und man hört die Geschichte des Quartetts. Ich spürte, dass ich dieselbe Wellenlänge habe. Und plötzlich machte der Gedanke doch irgendwie Sinn. Dann habe ich Eckhard Runge auf Facebook angeschrieben, und er hat nach mehreren Wochen geantwortet.
BR-KLASSIK: Heute spielt Anthea Kreston die zweite Geige, Gregor Siegel ist zur Bratsche gewechselt, also auf die Position, die Friedemann Weigle spielte. Friedemann Weigle hat sich im Juli 2015 das Leben genommen - wie war das für Sie im Streichquartett mit dieser Situation umzugehen? Haben Sie sich einzeln zurückgezogen? Haben Sie gemeinsam getrauert?
Eckart Runge: Für mich war es wichtig, das mit meinen Kollegen gemeinsam zu machen. Ich hab sicher auch Momente gebraucht, wo ich alleine sein wollte. Aber der Austausch in der Gruppe war für mich tröstlich. So eine Situation ohne Erfahrung, das ist natürlich ein Sturz im freien Fall. Man hat keine Ahnung, wie und wo man dabei landet. In dieser Phase hat sich etwas sehr Schönes vollzogen: Die zärtliche Erinnerung und die Dankbarkeit an die gemeinsamen Jahre begannen langsam Überhand zu nehmen gegenüber dem Gefühl von Leere, Trauer und Schmerz. Und ich glaube, das ist eine Sache, die nur gemeinsam geht - und wahrscheinlich auch nur durch die Kraft der Musik, die man gemeinsam spielt. Zunehmend war es dann so, dass Friedemann immer mehr mit dabei war, und wir auch in den Proben immer wieder gesagt haben, lasst es uns so ausprobieren wie er es vielleicht vorgeschlagen hätte. Und das hat dorthin geführt, wo wir heute sind. Er ist immer noch ein Teil der Gruppe, im Geiste, in seiner Seele ist er noch dabei. Dieses Gefühl einer zärtlichen Verbindung, einer Dankbarkeit für all das, was er uns mitgegeben hat, das beflügelt uns eigentlich stärker als dass da jetzt etwas vorbei ist.
BR-KLASSIK: Sie haben ja auch das Instrument, das Friedemann Weigle gespielt hat, noch im Quartett dabei.
Der Cellist Eckart Runge | Bildquelle: © Nikolaj Lund Eckart Runge: Ja, Gregor spielt auf der Bratsche von Friedemann. Das ist wunderbar und trägt zu diesem Gefühl bei, dass er noch bei uns ist. Am Anfang war das natürlich ein emotionaler Moment, der kaum auszuhalten war, als Gregor zum ersten Mal wieder diese Bratsche auspackte, die Friedemann so präsent werden ließ. Und als er dann mit der Bratsche das "a“ gab in der Gruppe - wie Friedemann es immer gemacht hatte ... Dieser so vertraute Klang des Instruments war plötzlich wieder da. Wir haben natürlich alle geschluckt und hatten Tränen in den Augen, aber auf der anderen Seite war das auch ein schönes Stück der Verarbeitung in diesem emotionalen Prozess.
BR-KLASSIK: Das ist sehr mutig.
Eckart Runge: Aus meiner jetzigen Erfahrung geht das gar nicht anders. Diese Bratsche dabeizuhaben, ist einfach wunderbar. Das ist auch ein großartiges altes, italienisches Instrument mit einer großen Quartettgeschichte: Es wurde im Busch Quartett gespielt. Und mit dieser Geschichte passt dieses Instrument so gut zu uns: Denn unsere Geschichte ist die eine des Wandels. Es ist ein Teil von uns, dass das Quartett sich immer wieder erneuern musste. Und diese Erneuerung hatte die verschiedensten emotionalen Ursachen, die alle nicht leicht waren.
BR-KLASSIK: Anthea Kreston, Sie sind sehr spontan von Amerika nach Deutschland, nach Berlin gegangen. Innerhalb von vier Wochen haben Sie sich entschlossen, Ihr Haus und Ihr Auto in Oregon zu verkaufen, haben Ihre ganze Familie - Mann und zwei Kinder - eingepackt und sind hierhergekommen. Ein sehr großer Schritt.
Anthea Kreston: Das ist eine Mischung aus Spontaneität, gründlicher Planung, Vertrauen und Sicherheitsnetz. Du kannst nicht spontan sein, wenn du keine Sicherheit hast. Das alles hatte ich also. Mein Mann Jason hätte mich diese Facebooknachricht gar nicht schreiben lassen, bevor wir entschieden waren, dass wir im Falle des Falles dazu bereit sind umzuziehen. Er war sich sicher, dass ich den Job kriegen würde. Was ich, ehrlich gesagt, immer noch verrückt finde. Er sagte: "Schick die Nachricht nicht ab, bevor wir entschieden sind.“ Also das Ganze war ein gut durchdachter, kalkulierter Facebookmoment.
BR-KLASSIK: Sie haben einiges aufgegeben in den USA, das Avalon Quartett, das Amelia Trio …
Als Musiker ist dir die Musik wichtig, die Sprache oder der Wohnort sind zweitrangig. Das Avalon Quartett habe ich noch als 20-Jährige verlassen, das ist lange her. Und das Amelia Trio spielt auch Jason, mein Mann! Vielleicht ruht es einfach nur gerade wie eine Blumenzwiebel im Winter unter der Erde. Wer weiß? Jason und ich können bis dahin daheim im Wohnzimmer Duette spielen. Ich bin so glücklich, einen Partner zu haben, der so ein exzellenter Musiker ist. Und noch was zum Thema Spontanität und Planung: Das ist genau wie im Streichquartett. Ohne präzise Planung kannst du nicht spontan sein. Das schätze ich auch sehr am Artemis Quartett. Den Freigeist, die Individualität - wie ich es höre und sehe. Ich weiß, dass das alles auf tiefer intellektueller Durchdringung basiert, auf tief leidenschaftlichem "Sprechen". Je mehr du planst, je spezifischer du wirst, desto lebendiger bist du. Das gilt im Quartett genauso wie bei meiner Entscheidung, eigentlich bei allen Entscheidungen diese künstlerische Partnerschaft betreffend.
Das Gespräch führte Uta Sailer für BR-KLASSIK.
Mittwoch, 23. November 2016, 20.00 Uhr
München, Prinzregententheater
Joseph Haydn:
Streichquartett G-Dur op. 76/1 Hob. III/75
Wolfgang Rihm:
Grave ("In memoriam Thomas Kakuska")
Robert Schumann:
Streichquartett A-Dur op. 41/3