Rational betrachtet machen 64 Drehungen um die eigene Achse, Trippelschritte auf Spitzenschuhen, Kullern über den Boden oder das Schwingen der Beine auf Ohrenhöhe überhaupt keinen Sinn. Merke: Die Sinnfrage stellt man beim Tanz nicht, meint BR-KLASSIK Balletexpertin Sylvia Schreiber.
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Halbnackte winden sich umeinander, schmiegen sich aneinander, stoßen sich urplötzlich voneinander fort. Eine im Dunklen verborgene Masse beobachtet sie. Ist das indiskret? Peinlich?
Nein.Tanz.
Rational betrachtet machen 64 Drehungen um die eigene Achse, Trippelschritte auf Spitzenschuhen, Kullern über den Boden oder das Schwingen der Beine auf Ohrenhöhe überhaupt keinen Sinn. Merke: Die Sinnfrage stellt man beim Tanz nicht.
Der Körper des Tänzers absorbiert Klänge, Rhythmen, Melodien. Es ist also ganz logisch, dass die Schwingung der Töne den Tänzer in Schwingung versetzt. Als hätte seine Haut Ohren bekommen: Musik wird im Tanz sichtbar!
Achtung, dieser Umwandlungsprozess lässt sich nicht mithilfe einer physikalischen Formel ausdrücken.
Bildquelle: imago/united archives international Beim klassischen Tanz wird der Körper tagtäglich trainiert. Tänzer strotzen nur so vor Muskelpaketen. Sie sind beweglich wie Gummimenschen im Zirkus.
Die Kunst dieser Kraftmaschinen besteht nun darin, trotzdem geschmeidig, leicht und ästhetisch schön zu wirken. Darum sollte ein Tänzer nicht die Figur eines Hammerwerfers haben. Es geht ja auch in einem Pas de Deux nicht darum, die Partnerin möglichst weit zu schmeißen.
Im klassischen Tanz sind Schritte, Handhaltung, Fußstellung exakt definiert. Jede Bewegung hat einen französischen Namen. Nichts auf der Bühne ist dem Zufall überlassen. Alles wurde nach einer fest gelegten Choreographie einstudiert.
Eine Spitzencompagnie zeichnet sich durch enorme Präzision aus - jeder Tänzer hat eine Körperspannung, die ihn nach oben zu tragen scheint. Und die braucht es auch, damit keiner dem anderen auf die Füße tritt, damit die 24 Schwäne im "Schwanensee" auch wirklich synchron flattern.
Also: Wackelige Knie, Arme wie eine Vogelscheuche oder Fußspitzen, die nicht gestreckt sind, gehören nicht ins klassische Ballett.
Sylvia Schreiber schreibt für BR-KLASSIK über klassischen und modernen Tanz | Bildquelle: BR/Ralf Wilschewski
Von A wie Angst, über s wie schockierend bis Z wie Zärtlichkeit reicht die Palette, die Tanz ausdrücken kann. Dafür nutzt er alle Möglichkeiten der Dreidimensionalität - den Abgrund, den Boden, den Höhenflug. Und als Steilvorlage dieser hochemotionalen Bewegungssprache dient immer die Musik. Das gilt für den zeitgenössischen Tanz im Besonderen, aber natürlich auch für die klassischen Handlungsballette wie „Schwanensee“ oder „Giselle“.
Die Dimension einer zeitlichen Abfolge wird außer Kraft gesetzt: Harmonie exisitiert neben Zerissenheit, Liebelei, Hass und Eifersucht.
Wenn beim Zuschauen und Zuhören das Denken vorübergehend abgeschaltet wird, wenn keine Langweile aufkommt, wenn einem die Worte fehlen, um das zu Beschreiben, was man gesehen hat.
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