BR-KLASSIK

Inhalt

Béla Bartók zum 75. Todestag Musikethnologe und Neutöner

Béla Bartók eckte in seinem Leben immer wieder an: Mit der Erforschung der bäuerlichen Volksmusik provozierte er die ungarischen Nationalisten; sein radikales Werk "Der Wunderbare Mandarin" verursachte in Köln einen Skandal. Am 26. September 1945 starb Bartók in den USA. Über einen Komponisten, der unbeirrt seinen Weg ging – und mit seiner individuellen Tonsprache die Musikwelt prägte.

Komponist Béla Bartók | Bildquelle: © dpa/wikicommons // MONTAGE BR

Bildquelle: © dpa/wikicommons // MONTAGE BR

Béla Bartók ist 22 Jahre alt, als ihm der große Durchbruch gelingt. Am 13. Januar 1904 wird in Budapest eine symphonische Dichtung des jungen Mannes aufgeführt: "Kossuth". Das Publikum jubelt, die Kritiken sind euphorisch. Über Nacht wird aus dem "talentierten Jüngling", ein "urwüchsiger ungarischer Symphoniker", ein würdiger Nachfolger des mächtigen Franz Liszt.

Patriotisches Jugendwerk

Musikalisch ist das stürmische Jugendwerk dem Vorbild Richard Strauss verpflichtet – es ist eine Art "Also sprach Zarathustra" in ungarischer Tracht. Bartóks Held ist der legendäre ungarische Freiheitskämpfer Lajos Kossuth. Es ist das politische Bekenntniswerk eines jungen, glühenden Patrioten.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Bartók: Kossuth ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada | Bildquelle: hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony (via YouTube)

Bartók: Kossuth ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada

Nationalistische Kreise sind begeistert. Doch Béla Bartóks Haltung ändert sich. Aus dem glühenden Nationalisten wird im Lauf der Jahre ein überzeugter Humanist.

Feldforschung mit Phonograph

Der Grund dafür ist Bartóks intensive Auseinandersetzung mit der Volksmusik. Als 24-Jähriger bricht er auf in die ungarische Provinz, um die Musik der bäuerlichen Bevölkerung zu erforschen. Um die Melodien aufzuzeichnen, nutzt der Komponist neueste Technik: Edisons Phonographen und kleine, mit Wachs beschichtete Walzen.

Komponist Béla Bartók | Bildquelle: © picture-alliance/dpa Béla Bartók schreibt die gesammelte Volksmusik auf. | Bildquelle: © picture-alliance/dpa Bald verlässt Bartók den ungarischen Sprachraum. Er fährt nach Rumänien, in die Slowakei, später sogar in die Türkei und nach Nordafrika. Überall hat er den Phonographen und die kleinen, mit Wachs beschichteten Walzen mit dabei, auf denen er seine akustischen Schätze sammelt. Für den kreativen Musiker hat die Begegnung mit authentischer Folklore weitreichende Folgen.

Das Studium dieser Bauernmusik brachte mich auf die Möglichkeit einer vollständigen Emanzipation von der Alleinherrschaft des bisherigen Dur-Moll-Systems.
Béla Bartók

Im Fadenkreuz der ungarischen Nationalisten

Volksmusik ist das Treibmittel, das Bartóks Musik völlig verändert. Er entdeckt Migrationsbewegungen, gegenseitigen Austausch und Assimilation. Alles hängt zusammen, alles befruchtet sich gegenseitig. Konservativen Kräften, die eine Überlegenheit des "Ungarntums" postulieren, stößt diese Erkenntnis säuerlich auf. Der Komponist gerät ins Fadenkreuz konservativer Hardliner. Man wirft ihm vor, "rumänische Melodien" in seinen Kompositionen zu verwenden, man drängt ihn sogar, seine Staatsbürgerschaft zurückzugeben.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Béla Bartók - Romanian Folk Dances for String Orchestra Sz.56 BB 68 | Bildquelle: Norwegian Chamber Orchestra (via YouTube)

Béla Bartók - Romanian Folk Dances for String Orchestra Sz.56 BB 68

Skandal an der Kölner Oper

Im November 1926 ruft Bartók abermals die Kritiker auf den Plan – diesmal in Köln. Die Premiere der Tanzpantomime "Der Wunderbare Mandarin" ist ein Skandal, wie ihn die Kölner Oper bisher noch nie erlebt hat. Schon während der Aufführung fliehen Zuschauer vor den "Geräuschen" aus dem Orchestergraben und der "widerlichen Handlung" auf der Bühne, so die Presse. Nach dem Schlussvorhang bricht ein Tumult los, der sich zum Fortissimo steigert, als "Herr Bartók", der Autor des "minderwertigen Werks" an die Rampe tritt.

Vor dem Kriege hätte es die Intendanz nicht gewagt, ein solches Schmutzwerk zu geben.
 Kölner Stadtanzeiger 1926 über die Uraufführung von Bartóks 'Der Wunderbare Mandarin'

Konrad Adenauer verbietet Bartóks Werk

Die Chaos-Premiere im Opernhaus macht den "Wunderbare Mandarin" zum Politikum. Konrad Adenauer persönlich – der spätere Bundeskanzler ist damals noch Oberbürgermeister von Köln – ordnet an: Bartóks Werk wird vom Spielplan gestrichen. Die Kölner Ereignisse sind ein Stigma, das die Verbreitung eines Meisterwerks verhindert. Bis heute ist es nur selten auf der Tanzbühne zu erleben, wohingegen sich die vom Komponisten selbst aus dem Ballett destillierte Suite ihren Platz in den Konzertprogrammen erobert hat.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Bartók: Der wunderbare Mandarin ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada | Bildquelle: hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony (via YouTube)

Bartók: Der wunderbare Mandarin ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Andrés Orozco-Estrada

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs sympathisieren viele Ungarn mit Nazi-Deutschland – auch die ungarische Regierung. Der inzwischen 59-Jährige Bartók ist ein erklärter Gegner des Hitler-Regimes. So entschließt sich Bartok nach langem Zögern, sein Heimatland zu verlassen und nach Amerika auszuwandern.

Einsames Asyl in New York

Porträt Béla Bartók | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Komponist Béla Bartók hatte in den USA einen schwierigen Start. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Am 29. Oktober 1940 erreichen Béla Bartók und seine Frau Ditta New York. Sein amerikanisches Asyl sind einsame, traurige Jahre, eine Zeit der Depression, bestimmt von kreativer Lähmung und finanziellen Schwierigkeiten. Bartók ist ein Künstler von internationaler Statur, er kennt die USA von Gastspielreisen, dennoch fällt es dem introvertierten Meister schwer, sich mit dem "American Way of Life" zu arrangieren. Orchester und Konzertveranstalter zeigen ihm und seinem Werk die kalte Schulter.

Ich bin ziemlich pessimistisch ich habe mein Vertrauen zu Menschen, zu Ländern, zu allem verloren.
Béla Bartók

Später Erfolg

Doch dann erteilt ihm der Dirigent Serge Koussewitzky 1943 einen Kompositionsauftrag. Die Uraufführung des "Konzerts für Orchester" wird ein spektakulärer Erfolg. Renommierte Künstler fragen bei Bartók an, Verlage klopfen an die Tür.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Christoph Eschenbach | Béla Bartók: Konzert für Orchester Sz 116 | SWR Symphonieorchester | Bildquelle: SWR Classic (via YouTube)

Christoph Eschenbach | Béla Bartók: Konzert für Orchester Sz 116 | SWR Symphonieorchester

Bartók hat jedoch keine Kraft mehr. Er ist unheilbar an Leukämie erkrankt. Das letzte Werk, an dem der heimatlose Komponist arbeitet, ist sein Drittes Klavierkonzert, eine Geburtstagsüberraschung für seine Frau.

Letzte Ruhe in Ungarn

Béla Bartók stirbt am 26. September 1945 im New Yorker West-Side-Hospital im Alter von 64 Jahren und wird auf dem Ferncliff Friedhof beigesetzt. Im Jahr 1988, und damit 43 Jahre später, kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, werden Bartóks sterbliche Überreste nach Ungarn überführt. Seither liegt er in Budapest zur letzten Ruhe gebettet. 

Sendung: "Musik der Welt" am 26. September um 23.05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player