Es ist ein Datum, das Amerikas Musiker und Musikfreunde mit Entsetzen erfüllt: Ein Unglückstag, an dem das Unvorstellbare geschehen sollte. Eine Investorengruppe hat sich die berühmteste Konzerthalle der Welt unter den Nagel gerissen und plant, an ihrer Stelle ein profanes 44-stöckiges Bürogebäude zu errichten. Zum Abschluss des Deals stehen Bagger und Baufahrzeuge bereit, um einen "Heiligen Tempel" der Kultur, ein Haus mit einer einzigartigen Geschichte, dem Erdboden gleichzumachen.
Bildquelle: Amerika Haus/Süddeutsche Zeitung Photo
Die Krise, die den Bestand der Carnegie Hall bedrohte und fast zu deren Abriss führte, war eine ökonomische Krise. Mitte der 1950er-Jahre steckt Amerikas Musikbetrieb im Umbruch. Die Massenmedien, Fernsehen und Schallplatten sind dabei, das Konsumgebaren des Publikums zu verändern. Es wird immer schwieriger, mit Live-Musik schwarze Zahlen zu schreiben.
Hauptmieter des Backsteingebäudes an der 54sten Straße sind in dieser Zeit die New Yorker Philharmoniker, die dort an 100 Tagen im Jahr proben und konzertieren. Doch als die Besitzer der privatwirtschaftlich geführten Carnegie Hall ihr defizitäres Haus dem Orchester zum Kauf anbieten, winken die Philharmoniker ab. Denn die Offerte kommt zu spät. Die Philharmoniker sind gerade dabei, im benachbarten Lincoln Centre einen eigenen Konzertsaal zu beziehen. Und so betreten jene Investoren das Spielfeld, die die Abrissbirne ins Schwingen bringen.
Der Geiger Isaac Stern setzte sich 1960 für den Erhalt der Carnegie Hall ein - mit Erfolg. | Bildquelle: picture-alliance / © KPA Die Rettung der Carnegie Hall erfolgt in letzter Sekunde. Eine vom Geiger Isaac Stern angeführte Initiative erzwingt einen behördlichen Erlass, der es der Stadt New York erlaubt, das legendäre Bauwerk zu erwerben und unter eigener Regie als Stiftung zu betreiben. Heute heißt der große Konzertsaal des Hauses "Isaac Stern Auditorium". Zu Recht, denn ohne den Stargeiger würde es die Carnegie Hall heute wahrscheinlich nicht mehr geben.
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