Am 30. November präsentierten das Münchner Rundfunkorchester und der Chor des BR ihr gemeinsames Weihnachtskonzert "Christmas Classics". Das Konzert können Sie hier anhören - und ihr Wissen in Sachen Weihnachtslieder und -traditionen aufbessern.
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Überall auf der Welt wird Weihnachten gefeiert. Das Fest hat sich mittlerweile zu einem echten Massenphänomen entwickelt, das sogar in Japan und China allgegenwärtig ist. Natürlich steht dort nicht die Geburt Jesu im Mittelpunkt, sondern der Konsum und festlich geschmückte Innenstädte, nach US-amerikanischem Vorbild. In Japan etwa verbringt man die Weihnachtstage gerne mit Freunden und feiert rauschende Partys, auch wenn der 25. Dezember dort kein offizieller Feiertag ist!
Das Konzertprogramm führt durch zwei Kontinente und sieben Länder, und es erklingen Weihnachtslieder in sechs unterschiedlichen Sprachen. In den Gesängen geht es meist um die überlieferte Weihnachtsgeschichte, sie erzählen von Engeln, den Hirten und dem Kind in der Krippe oder sie drücken einfach Lebensfreude, Dankbarkeit und den Wunsch nach Frieden aus. Howard Arman hat alle Weihnachtslieder neu bearbeitet und ihnen frische, unterhaltsame Arrangements verpasst: Eine opulente Instrumentierung mit Glockenspiel, Celesta und Harfe unterstreicht die festliche Stimmung, während überraschend eingesetzte Rhythmusinstrumente wie Kastagnetten ("Adorar al niño"), Woodblock ("I Am the Happiest Christmas Tree") oder die Schellentrommel ("Noël nouvelet") swingende Rhythmen heraufbeschwören.
Für instrumentale Tupfer im Programm sorgen "A Christmas Overture" von Samuel Coleridge-Taylor (1875-1912) und zwei Kompositionen von Leroy Anderson (1908-1975): "A Christmas Festival" und "Sleigh Ride". Anderson arbeitete in den 1940/50er Jahren als Arrangeur für das Boston Pops Orchestra und schrieb in dieser Zeit viele originelle Konzertstücke. Die Verwendung ungewöhnlicher Instrumente in seinen Kompositionen gehörte zu seinem Markenzeichen. Am bekanntesten ist sicherlich "The Typewriter", in das er das Tippen einer Schreibmaschine einbaute - und in "Sleigh Ride" klingeln echte Schlittenglocken.
Obwohl Anderson seine auskomponierte Schlittenfahrt weniger mit Weihnachten, als vielmehr mit der Jahreszeit Winter assoziiert sehen wollte, war die Komposition gleich nach Veröffentlichung der ersten Aufnahme in allen großen Kaufhäusern zu hören und wurde natürlich mit den Feiertagen in Verbindung gebracht. Leopold Mozarts "Musikalische Schlittenfahrt" soll Inspiration zu diesem Werk gewesen sein, und bei so viel Kälte, Eis und Schnee fällt es schwer zu glauben, dass Anderson einen großen Teil dieses Werks 1946 während einer sommerlichen Hitzewelle auf dem Land in Connecticut geschrieben hat.
Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library "A Christmas Festival" entstand im Jahr 1950. Geplant war natürlich eine Veröffentlichung auf Schallplatte pünktlich zum Weihnachtsgeschäft, und so komponierte Anderson auch dieses Werk bei sommerlichen Temperaturen, im Juni. Eine weitere Herausforderung kam noch hinzu: Langspielplatten waren damals noch nicht weit verbreitet, deshalb musste "A Christmas Festival" auf einer Single aufgenommen werden, die pro Seite nur eine Spieldauer von vier bis fünf Minuten hatte. Anderson musste also in der Mitte des Werks eine Zäsur einbauen, die nach vier Minuten den Wechsel zur zweiten Seite ermöglichte. Zudem durfte dies nicht weiter auffallen, wenn das Werk ohne Unterbrechung gespielt wurde. Darauf angesprochen, bemerkte Leroy Anderson auch später noch mit großem Stolz, dass die Zäsur genial gesetzt sei und man sie in Zeiten von Langspielplatten nicht mehr heraushören könne.
Befragt man das steirische Volksliedarchiv in Graz, so findet man dort im eigens angelegten Weihnachtsliederregister 8355 verzeichnete Weihnachtslieder aus der ganzen Welt. Weihnachtsbräuche mögen von Land zu Land und auch schon von Familie zu Familie ganz unterschiedlich ausfallen. Das Singen überlieferter Lieder ist jedoch ohne Zweifel eine Tradition, die man überall kennt. Weihnachtsmann oder Christkind, Tannenbaum oder doch eher die Weihnachtskrippe, vieles über die unterschiedlichen Weihnachtsbräuche erfahren wir heute noch aus den Gesängen.
Beispielsweise geht der Originaltext des provenzalischen Weihnachtslieds "Noël nouvelet" zurück auf das 15. Jahrhundert und beschreibt eine klassische Krippenszene: die Geschichte von Jesu Geburt im Stall, mit Hirten, Engeln und Königen. Die Krippe war in der christlichen Tradition von Beginn an das Symbol des Weihnachtsfestes und stand auch stets im Mittelpunkt des Weihnachtsgottesdienstes. Schon beim ersten Weihnachtsfest im 4. Jahrhundert nach Christus wurden Überreste der Krippe Jesu aus Betlehem in einem Reliquiar verehrt. Bald gingen die Gläubigen dazu über, während der Weihnachtsmesse eine Krippe vor den Altar zu stellen. Später hat Franz von Assisi für seine Klosterbrüder eine Krippenfeier mit lebenden Tieren arrangiert - sozusagen das erste Krippenspiel. Nach und nach hielt die Krippe dann auch Einzug in die Wohnstuben, wo ganze Szenen mit Figuren aus Holz und Ton aufgestellt wurden. Noch weit ins 20. Jahrhundert hinein bleibt die Krippe in Italien und Frankreich das Symbol der Weihnacht.
Ausgehend von der Weihnachtskrippe hat sich vor allem in Frauenklöstern die Tradition des Kindleinwiegens entwickelt. Dabei wurde eine Puppe in einer hübsch geschmückten Wiege zu Gesängen hin und her gewiegt. Fast bis in unsere Tage hat sich ein ähnlicher Brauch gehalten: Mädchen, die in einer Reihe sitzen, halten ihre mitgebrachten Wiegen an Seidenbändern in Bewegung und singen dazu Wiegenlieder. Das Lied "Joseph, lieber Joseph mein" ist mit dieser Tradition verknüpft, und die Melodie zu diesem Lied stammt vom mittelalterlichen Weihnachtshymnus "Resonet in laudibus". Dazu passt das hübsche Wiegenlied "Sogno d’or" von Giacomo Puccini (1858-1924). Nur wenige Werke für Singstimme und Klavier hat Puccini komponiert, "Sogno d’or" ist eines davon. Er schrieb es im November 1912 und es erschien in der Weihnachts-/Neujahrsausgabe von "Noi e il mondo", der monatlichen Beilage zur römischen Tageszeitung "La Tribuna". Für den BR-Chor hat Howard Arman eigens ein Arrangement geschrieben, und so erklingt das Lied erstmals mit Orchesterbegleitung und Frauenchor.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es in Deutschland den Weihnachtsbaum in privaten Wohnhäusern. Zur gleichen Zeit erleben die Weihnachtslieder in der "guten Stube" des Bürgertums ihre Blüte und zahlreiche Neudichtungen entstehen. 1824 nimmt sich ein Leipziger Lehrer die Melodie eines alten Studentenliedes vor und macht daraus das Lied "O Tannenbaum". Die Melodie ist übrigens auf der ganzen Welt bekannt: Der Fußballverein FC Chelsea singt zu dieser Tonfolge seine Fanhymne ("We’ll Keep the Blue Flag Flyin’ High"), und die Hymne des amerikanischen Bundesstaats Maryland lautet "Maryland, my Maryland".
Bildquelle: picture-alliance/dpa Zuerst verbreitet sich in protestantischen Gegenden der Brauch, einen Baum aufzustellen, und verdrängt nur langsam die Barbarazweige, die bis dahin geschmückt wurden. Nach England gelangt der Weihnachtsbaum durch den Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der ihn auch am englischen Königshof einführte. Kurios ist ein Artikel in "The Illustrated London News" vom 25. Dezember 1847, der detailliert erklärt, wie so ein Weihnachtsbaum aufzustellen ist. Während der Kriegsweihnacht im Jahr 1870 wird der er dann zum unangefochtenen Weihnachtssymbol. Sogar die Soldaten an der Front stellen Lichterbäume auf und erhalten per Post künstliche, zerlegbare Bäume aus Holz und gefärbten Federn für den Schützengraben.
Wie war das aber nochmal mit den Geschenken zu Weihnachten, wer bringt sie und wie wurde aus dem Christkind der Weihnachtsmann, von dem gerade in den amerikanischen Liedern gesungen wird? Traditionell fand die Bescherung am 6. Dezember, dem Nikolaustag, statt. Der Sankt Nikolaus war im Mittelalter der bedeutendste Heilige und sozusagen ein Import aus Byzanz. Dort wurde er von der griechisch-orthodoxen Kirche schon seit dem 5. Jahrhundert verehrt. Hinter dem Sankt Nikolaus stehen zwei Personen: Zum einen der Bischof von Myra aus dem 4. Jahrhundert, der drei Töchtern eines verarmten Edelmannes je einen Goldklumpen als Mitgift geschenkt hat. Zum anderen der Abt Nikolaus von Sion. Er soll drei ermordete Kinder wieder zum Leben erweckt haben. Erst Martin Luther hat sich gegen die Verherrlichung dieses "Superheiligen" ausgesprochen und das Christkind als Gabenbringer gesehen. Doch selbst im Hause Luther legte weiterhin der Nikolaus den Kindern seine Gaben in die Schuhe. Obwohl Luther vom "heiligen Christ" spricht, bleibt das Volk beim vertrauten "Christkind" und versteht darunter ein altersloses Wesen, ähnlich einem Engel.
Der Weihnachtsmann, wie wir ihn heute aus Filmen und Werbung kennen, ist eine rein künstliche Figur und entstand schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Direktes Vorbild für den "Coca-Cola-Weihnachtsmann" war ein Weihnachtsmann mit Schlitten und Rothirschen auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Die Spielzeugindustrie im thüringischen Sonneberg hatte ihn kreiert, und sein Bild ging von da an um die ganze Welt. Zuerst als Postkarte und später als Papier-Nikolaus zum Befüllen, der von Thüringen bis nach Amerika exportiert wurde. Der Name Santa Claus kam vom holländischen Sinter Claas, der in New York die Kinder der holländischen Einwanderer zuerst noch am 6. Dezember beschenkte. Später wurde daraus die Bescherung durch den Kamin am Heiligen Abend.
Bildquelle: picture-alliance/dpa "Santa Claus Is Coming to Town" und "Santa Claus Got Stuck in My Chimney" gehören beide zu den jüngeren Weihnachtsliedern im Programm. Erstgenanntes wurde 1932 geschrieben, das andere hat Ella Fitzgerald im Jahr 1950 erstmals aufgenommen. Für "Santa Claus Is Coming to Town" hat sich Howard Arman ein besonderes Arrangement einfallen lassen. Der Song ist in drei Teile gegliedert. Im ersten und dritten Teil verwandelt sich das Orchester in eine Big Band und legt eine flotte Swingsohle aufs Parkett, mit viel Blech und Percussion. Überraschend kontrastierend dazu steht der zweite Teil im barocken Stil in Form eines Fugato. Dadurch ergibt sich die typische dreiteilige Form einer barocken Arie der Opera seria. Ein Arrangement mit viel Augenzwinkern, bei dem sicher Howard Armans englisches Erbe durchscheint: In England geht es an Weihnachten nämlich sehr lustig zu, mit Knallfröschen und Papierhütchen und viel Punsch. Auch Father Christmas, die englische Version des Weihnachtsmanns, trägt sehr menschliche Züge und ist ein lebensfroher Bonvivant. Das scheinen seine heidnischen Wurzeln zu sein, und man findet Quellen, in denen von ihm als "König Hofnarr" gesprochen wird.
Weihnachten ohne Christkindlmärkte, Glühwein und Co. feiert man in Venezuela. Schon in den Wochen vor Weihnachten verbringt die Familie viel Zeit miteinander und bereitet Hallacas vor. Das sind gefüllte Teigtaschen aus Maismehl, die in Bananenblätter eingewickelt werden. Nach der Mitternachtsmesse am Heiligen Abend ist das Fest noch lange nicht vorbei. Bis zum Morgengrauen wird auf den Straßen gefeiert und getanzt. Einen musikalischen Eindruck davon bietet "Adorar al niño". Das Arrangement von Howard Arman zeugt von viel Lebensfreude und Temperament.
Bei allen kulturellen, nationalen oder kirchlich religiösen Unterschieden zeigt die bunte Sammlung der vorliegenden Weihnachtslieder, dass die Kraft und Anziehung von Advent und Weihnachten zum großen Teil in den Liedern lebt. Die Musik verbindet die Menschen auf magische Weise miteinander - egal, ob selber gesungen oder nur zugehört wird - und lässt hoffentlich die Vorfreude auf Weihnachten wachsen.
"Christmas Classics"
Das große Weihnachtskonzert des Bayerischen Rundfunks
Schirmherr: Intendant Ulrich Wilhelm
Mittwoch, 30. November 2016, 19.30 Uhr
München, Prinzregententheater
Live auf BR-KLASSIK
Samstag, 3. Dezember 2016, 20.00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz
Konzerteinführung: 19.00 Uhr
Sonntag, 18. Dezember 2016, 17.15 Uhr
Aufzeichnung aus der Stadtpfarrkirche St. Johannes der Täufer in Hilpoltstein
Zu sehen sehen auf daserste.de sowie im Videostream auf br-klassik.de/concert
Chor des Bayerischen Rundfunks mit Solisten
Münchner Rundfunkorchester
Leitung und Moderation: Howard Arman