Zum 75. Geburtstag von David Lynch am 20. Januar 2021 lauscht BR-KLASSIK dem Klangkosmos der Filme des Kultregisseurs – und der wird beherrscht von den zauberhaft verhangenen Klängen von Lynchs kongenialem Partner Angelo Badalamenti.
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Twin Peaks: Fire Walk with Me - Title Sequence
Eine wunderbar düster-jazzige Melodie eröffnet den Twin-Peaks-Kino-Film von 1992, die Trompete schwebt über einem dunklen Klangteppich, dessen Harmonien immer wieder in eine verhangen-nächtliche, unheilvolle Stimmung abgleiten. Schön ja, aber ganz gewiss wartet hier keine 08/15-Hollywoodromanze mit Schmuse-Happy-End auf den Zuschauer: Eins der klingenden Meisterwerke, die Angelo Badalamenti für David Lynchs Filmkosmos geschaffen hat. In diesem Fall für einen Film, in dem skurrile Traumsequenzen (in denen Schauspieler rückwärts sprechen und ihre Bewegungen rückwärts einstudieren mussten; damit Lynch sie dann wieder vorwärts abspielen und damit einen äußerst beeindruckenden filmischen Effekt erzielen konnte) sich mit einer düsteren Missbrauchsgeschichte zu einem verstörend überhöhten Mysterythriller verbinden.
This whole world is wild at heart and weird on top.
Angelo Badalamenti ist für David Lynch, was Bernard Herrmann für Hitchcock war oder Ennio Morricone für Sergieo Leone oder Alan Silvestri für Robert Zemeckis. Die beiden sind eins dieser genialen Komponisten/Regisseur-Duos, in deren gemeinsamer Arbeit die Bildwelt sich genial mit Musik- und Klangwelt zu einem Gesamtkunstwerk verbindet. Vielleicht weil David Lynch ein musikalischer Regisseur ist, der selbst als Songwriter aktiv ist und durchaus hörenswerte Platten herausbringt. Vielleicht weil, so beschreibt es Komponist Angelo Badalamenti, er es einfach schafft, seinem Partner haargenau zu vermitteln, was musikalisch in seinen Filmen passieren soll. Das geht so weit, dass Lynch für die Musik zur Twin-Peaks-Fernsehserie neben seinem Komponisten saß und ihn in Echtzeit über die Klaviertasten dirigiert hat. Von dieser Improvisationssession sei jede Note im berühmten "Laura-Palmer-Thema" erhalten geblieben, versichert Badalamenti.
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Transcription || Twin Peaks: Angelo Badalamenti explains how he wrote Laura Palmer's Theme [piano]
Trotz aller alptraumhafter Grausamkeit, trotz abgeschnittener Ohren, trotz beherrschender Präsenz von Mord und Missbrauch in seinen Stoffen: David Lynch ist ein einfühlsamer Menschenbeobachter. Das zeigt sein Film "The Straight Story", in dem ein alter Mann auf einem Rasenmäher-Traktor den mittleren Westen der USA durchquert, um seinen Bruder zu besuchen. Angelo Badalamenti darf hier mal melodisch aus dem vollen schöpfen.
Und das zeigt Lynchs wunderbares "Interview Project", für das er – auch in Deutschland! – Interviews mit einer Auswahl von ganz normalen Menschen gesammelt hat. Diese filmisch dokumentierten Zufallsbegegnungen sind berührend, tiefschürfend, bemerkenswert. Wir sind alle voller Geschichten, sagen die kurzen Clips aus dem Alltag.
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David Lynch presents Interview Project Germany Episode 10
"Eraserhead" war David Lynchs filmische Visitenkarte aus dem Jahr 1977. Ein surrealistischer Alptraum, angesiedelt in düsterer Hinterhofkulisse, in dem es um einen heimatlos Umherirrenden geht, der eines Tages Vater eines schleimig-glibbrigen Monsters wird. All das vor dem Hintergrund brodelnder und zischender Tonkollagen, aus denen sich hin und wieder Fats Wallers jazzige Orgelklänge zu Wort melden – wie akustische Zeichen aus einer anderen, heileren Welt. Das war noch vor Badalamentis Zeit. Aber es beschreibt bereits die besondere Arbeitsweise von David Lynch.
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Eraserhead: Original Soundtrack Recording
Die Art und Intensität der Zusammenarbeit zwischen David Lynch und Angelo Badalamenti ging von Anfang an weit über das bloße Anheuern eines Filmkomponisten hinaus. Badalamenti beschreibt das so: "Bei den meisten Regisseuren, mit denen ich zusammengearbeitet habe, kommt der Komponist erst ganz am Ende dazu – wenn der endgültige Schnitt oder der 'director's cut' bereits gemacht ist. Erst dann fängst du an, zu schreiben. Aber mit David ist das ganz anders. In den allermeisten Fällen unserer Zusammenarbeit war ich schon dabei, bevor die erste Szene überhaupt gedreht wurde. Denn meist kommt er und will eine Musik, die er bereits am Set abspielen kann – als Stimulans für die Schauspieler."
Die Musik gibt die Gangart vor, die Stimmung und auch das Tempo für die Dialoge.
Angefangen hatte diese einzigartige Zusammenarbeit mit "Blue Velvet", einem Film, bei dem schon der Anfang symptomatisch ist für den audio-visuellen "Lynchismus" als Einstieg in ein tiefer liegendes Universum: Ein Wasserschlauch verheddert sich – ein Mann erleidet beim Rasensprengen einen Schlaganfall. Buchstäblich aus heiterem Himmel, während drinnen im Haus die Ehefrau gelangweilt vor dem Fernseher sitzt: Eine Krimiszene flimmert über die Mattscheibe, derweil sich draußen im Garten das Drama abspielt. Nicht unbedingt zu vertrauten filmmusikalischen Klängen, aber akustisch unerhört einfühlsam. Auge und Ohr gehen buchstäblich zu Boden, tauchen ein in einen Makrokosmos aus Gräsern, Käfern und schmatzendem Insektengetier. Zum Gruseln einzigartig.
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Angelo Badalamenti - Frank (from Blue Velvet)
Sendung: "Cinema" am 17. Januar 2021 ab 18:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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