Mit "Tomahawks" besiegeln sie ihre Freundschaft - und tauschen ihre Taktstöcke. Mendelssohn und Berlioz verbindet eine ungewöhnliche Freundschaft. Kennengelernt haben sich die beiden "Häuptlinge" im Sommer 1830 in Rom. Dabei hätte ein tragischer Unfall damals beinahe alles zerstört.
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"Großer Häuptling! Wir haben einander geschworen, unsere Tomahawks zu tauschen; hier ist der meine!", schreibt Hector Berlioz an seinen Freund Felix Mendelssohn Bartholdy. "Wenn der Große Geist uns in die ewigen Jagdgründe geschickt haben wird, mögen unsere Krieger unsere Tomahawks vereint an die Pforte des Hohen Rates hängen."
Es ist ein merkwürdiges Tauschgeschäft, das eine seltsame Männer-Freundschaft 1843 in Leipzig besiegelt: "Vom ersten Augenblick war ich hingerissen"- Hector Berlioz ist entzückt von nächtlichen Hexentänzen auf dem Blocksberg, Geisterspuk und düsterem Druiden-Zauber! "Ich neige sehr dazu, dieses Quasi-Oratorium als das Vollendetest zu betrachten, was Mendelssohn bislang geschaffen hat“, schwärmt Berlioz von der "Walpurgisnacht"-Kantate und auch etwas wehmütig nach dem Besuch einer Probe. Der Gewandhauskapellmeister hat ihn mit unerwarteter Herzlichkeit empfangen. Schließlich verschenkt "Häuptling Mendelssohn!" großzügig sein "Musikzepter" an den Franzosen: "Oh, sehr gern, unter der Bedingung, dass Sie mir den Ihren schicken!" Berlioz nimmt den Taktstock, mit dem Mendelssohn eben dirigiert hat: "Oh, da werde ich Kupfer gegen Gold tauschen!" Am nächsten Tag schickt er Mendelssohn ein "plumpes Stück Eichenholz".
Begonnen hatte alles in Rom zwölf Jahre zuvor. Ein Deutscher und ein Franzose streifen durch die ewige Stadt. Italien, endlich in Italien! Felix Mendelssohn, 21 Jahre alt, bereist auf den Spuren Goethes das Land, wo die Zitronen blüh'n. "Mir liegt das ganze unermessliche Rom wie eine Aufgabe zum Genießen vor", bemerkt der junge Deutsche und wandert durch die ewige Stadt: Kolosseum und Ruinen, der Petersdom, Santa Maria Maggiore, die Villa Borghese. Ein protestantischer Pfarrer aus Preußen führt ihn. In dessen Wohnung treffen sich auch die Sänger der päpstlichen Kapelle zu Hausmusiken. Der junge Mendelssohn findet sie - 32 Herren im fortgeschrittenen Alter - allesamt "fast ganz unmusikalisch".
Felix Mendelssohn Bartholdy | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Meine Beziehungen zu Mendelssohn hatten in Rom auf recht skurrile Weise begonnen", erinnert sich Hector Berlioz. Viele berühmte Männer streifen Mendelssohns Weg. Eines Abends kommt der 21-Jährige in der französischen Akademie mit einem Komponisten ins Gespräch: Hector Berlioz. Der ist 27 Jahre alt und bereits berüchtigt für seine exzentrischen Einfälle. Er weilt mit einem heiß ersehnten Stipendium in der ewigen Stadt. Drei Mal hatte er sich vergeblich um den "Prix de Rome" beworben. Das Erfolgsstück - eine Kantate über den Untergang Ninivies und den Niedergang eines größenwahnsinnigen Herrschers - hat der junge Mendelssohn schon gehört: "Na, Gott sei Dank, ich gratuliere Ihnen zu Ihrem guten Geschmack!", ruft er aus, als Berlioz bekennt, er verspüre Widerwillen gegen sein eigenes Stück: "Ich hatte schon befürchtet, dass Sie mit diesem ersten Allegro zufrieden wären; offen gesagt: es ist miserabel!"
Von nun an treffen sie sich täglich. Mendelssohn und Berlioz reiten beide hoch zu Ross miteinander aus, fantasieren sich ein Scherzo nach "Romeo and Juliette" von Shakespeare zurecht. Den Scirocco, den schwülen Wüstenwind, der die Nächte unerträglich macht, bekämpfen sie, indem sie musizierten. "Schön ist das! So schön!", soll Mendelssohn ausgerufen haben über Arien von Gluck. Berlioz singt, Mendelssohn begleitet auf dem Klavier: "Ich könnte es von morgens bis abends hören, immer und immer wieder, ohne es leid zu werden."
Bildquelle: picture-alliance/dpa Bei einem ihrer Ausflüge driftet ihr Gespräch zu religiösen Themen ab. Da gerät der wortgewandte Mendelssohn ins Rutschen. Zwei Hitzköpfe philosophieren in den Caracalla-Thermen über die Frage menschlicher Schuld und göttlicher Strafe auf Erden. Berlioz erinnert sich: "Gerade als ich auf die Darstellung seiner zutiefst religiösen und orthodoxen Meinung mit irgendeiner Ungeheuerlichkeit antwortete, strauchelte er und zog sich, als er die Überreste einer sehr steilen Treppe hinunterstürzte, viele Prellungen und blaue Flecken zu. 'Bewundernswerte göttliche Gerechtigkeit!', sagte ich, als ich ihm wieder auf die Beine half: 'Ich lästere, und Sie fallen'."
Mendelssohn ist verschnupft und berichtetet den Daheimgebliebenen in Berlin. Es ekelt ihn nun vor der Musik von Berlioz, den er manchmal am liebsten "todt beißen möchte". Er bescheinigt ihm eine große Liebenswürdigkeit und größenwahnsinnige Züge. Dann gehen sie wieder miteinander spazieren und schwärmen - über Musik. Mendelssohn feilt an der "Italienischen", Berlioz ist mit seiner "Symphonie fantastique" beschäftigt, die die Gemüter erhitzt, bevor sie vollendet ist. Ein exzentrisches Werk, das um das Leben des Künstlers kreist. Berlioz und seine schwärmerische Liebe zu einer kongenialen Shakespeare-Darstellerin. Eine Irin, die als Ophelia ganz Paris den Kopf verdreht. Von der heftigen Zuneigung des ihr unbekannten Komponisten ahnt sie nichts. Im Hexensabbat saust das Fallbeil in die Tiefe. Der römische Stipendiat träumt von seiner eigenen Hinrichtung. Die unerreichbare ferne Geliebte - musikalisch verkörpert in einer zarten, schwärmerischen Melodie - verwandelt sich in eine fratzenhafte Karikatur. Ein Alptraum in Tönen. "Kalte Thorheiten, kalte Leidenschaften", setzt Mendelssohn seine Familie per Brief ins Bild über virtuose Orchestereffekte: "ein bloßes Grunzen, Schreien, Kreischen."
Als Mutter Mendelssohn sich erkundigt, was Berlioz denn vorhabe, antwortet der Sohn: "Ich glaube, er will sich verheirathen, und ist eigentlich schlimmer, wie die andern, weil er affectuirt ist, ich mag diesen nach außen gekehrten Enthusiasmus, diese den Damen präsentirte Verzweiflung, und die Genialität in Fraktur, schwarz auf weiß ein für allemal nicht ausstehen." Doch Mendelssohn irrt. Berlioz wartet gerade ungeduldig auf den Brief einer englischen Pianistin namens Camilla. Diese Geliebte war ihm untreu, wie er bald erfuhr. Berlioz wollte die ewige Stadt schließlich Rom sein lassen, um zuerst die untreue Klavierspielerin umzubringen und dann sich selbst. Er floh, besann sich und kehrte zurück. Doch da war der junge Mendelssohn längst nach Neapel weiter gereist. Viele Jahre später sollten sie sich wieder begegnen.
Ein Franzose in Leipzig. Mendelssohn empfängt ihn herzlich. Berlioz lobt die "Walpurgisnacht"-Kantate in höchsten Tönen! "Kommt mit Zacken und mit Gabeln, wie den Teufel, den sie fabeln!", singt der Chor. Der effektvoll instrumentierte Mitternachtsspuk auf dem Blocksberg erinnert manche Hörer ausgerechnet an den Hexensabbat der "Symphonie fantastique". Berlioz nimmt als Souvenir seiner Deutschlandreise einen Taktstock mit - und einen Brief von Mendelssohn: "Bienvenue in Deutschland. Lachen Sie nicht über mein erbärmliches Französisch, wie Sie es in Rom taten, aber bleiben Sie weiterhin mein guter Freund, wie Sie es damals waren, und wie ich immer sein werde."