Was passiert beim Musizieren in unserem Gehirn? Wieso schämen sich Jugendliche oftmals beim Singen? Warum haben durchschnittlich mehr Chinesen als Europäer das absolute Gehör? Der Neurologe Eckart Altenmüller von der Universität Hannover forscht zum Thema Gehirn und Musik und erklärt die wichtigsten Zusammenhänge. Tickt ein Musikergehirn wirklich anders oder steckt vielleicht in jedem von uns das Zeug zum Virtuosen?
Die gute Nachricht am Anfang: Fast jeder Mensch ist, mehr oder weniger, musikalisch. Nur zwei Prozent der Bevölkerung haben eine genetisch bedingte Störung und können daher die verschiedenen Tonhöhen nicht wahrnehmen. Für sie klingt es so, als würde ein gesamtes Lied nur auf EINEM Ton geräuschhaft gespielt. Die restlichen 98 Prozent erkennen Melodien und Klangfarben. Haben wir also alle das Potential in uns, eine Anne-Sophie Mutter zu werden? Leider nein. Erste Voraussetzung: der Genpool spielt eine wichtige Rolle. Die Forschung nimmt an, dass etwa 40 Prozent der musikalischen Leistungsfähigkeit genetisch bedingt ist. Um wirklich eine Virtuosin zu werden braucht es eine frühe Förderung, ein unterstützendes Elternhaus, exzellente Lehrer und natürlich eine Persönlichkeit, die die richtige Portion Gefühl und Ehrgeiz mitbringt. Oder wie es Neurologe Altenmüller formuliert: "Als Musiker ist man nie fertig. Man muss akzeptieren, dass man immer weiter lernt, es kann immer noch ein bisschen besser, ein bisschen reichhaltiger werden."
Das absolute Gehör ist nicht absolut, nicht unumstößlich. Man muss es pflegen, um es zu behalten.
Kurz gesagt: Wir mögen, was wir kennen. Egal ob es um Geschmack, das Visuelle oder die Musik geht. Der Mensch entwickelt eine Vorliebe für das, was er kennt. Und das sind zu Beginn des Lebens vor allem harmonische Klänge: von der Stimme der Mutter bis hin zu harmonisch aufgebauten Kinderliedern. Diese reichen dem Ohr irgendwann nicht mehr und die Harmonien werden immer ausdifferenzierter, die Musik immer komplexer. Das auditive Gedächtnis kann auf alles trainiert werden – auch auf dissonante Musik.
Ich muss sie nur oft genug hören – dann mag ich auch Zwölftonmusik.
Egal ob harmonisch oder dissonant, die menschliche Stimme wird laut Neurologe Altenmüller besonders intensiv wahrgenommen: "Gesang ist das ursprünglichste Musikinstrument und gibt einen tiefen Einblick in sein Gegenüber." Vollkommen unmaskiert zeigen sich die Emotionen oftmals im Gesang. Das erklärt auch, warum Jugendliche meist Scham vor dem Singen empfinden. Sie fühlen sich bedrängt, wollen nicht so viel von sich preisgeben. "Wir leiden, wir leben, wir verbinden uns im Gesang mit anderen Menschen", so Altenmüller.
Mit der Lieblingsmusik können die Schmerzen buchstäblich überspielt werden.
Beim Musikmachen, aber auch beim Hören, vollbringt das Gehirn Höchstleistungen. Hirnregionen verbinden sich und das kommt besonders Schlaganfallpatienten zu Gute. Vor allem im Bereich Gedächtnistraining, Aufmerksamkeit und Motorik führt die Therapie mit Musik oft zu schnelleren Erfolgen. Nicht zu vergessen: die Stimmung der Betroffenen. Musizieren belebt und schafft bestenfalls positive Emotionen. Das klappt natürlich nur mit individualisierter Lieblingsmusik.
Einfach zu sagen: ‚Mozart macht gesund‘ funktioniert nicht.
Was kennt der Patient, welche Musik mag der Patient wirklich? Erst die persönliche Musikauswahl schafft gute Stimmung sowie Motivation und damit einen verbesserten Lerneffekt.
Klassik Plus
Donnerstag, 25. Januar, ab 19:05 Uhr
"Musik und Gehirn - Musikergehirn"
Was hat Singen mit Selbstwahrnehmung zu tun? Hatten wir alle mal das "absolute Gehör“? Warum sind Bachs "Goldberg-Variationen" therapeutische Musik? Antworten auf diese und ähnliche Fragen sucht und findet seit Jahren der Neurologe Prof. Altenmüller von der Universität Hannover, der sich nicht nur mit dem menschlichen Gehirn an sich auseinandersetzt, sondern es speziell auf seine musische Seite hin untersucht. Was Musik mit uns macht, warum sie uns krank und gesund machen kann, darum geht es in der KlassikPlus-Stunde mit Eckart Altenmüller als Studiogast.