März 2020: Corona kommt – und mit dem Virus mehrere Lockdowns. Für viele Musikerinnen und Musiker fällt ein Großteil ihres Einkommens weg. Unsere Autorin hat fünf Musikerinnen in den letzten zwölf Monaten begleitet – per Handy-Kommunikations-Programm WhatsApp. Regelmäßig haben sie sich gegenseitig Sprachnachrichten zugeschickt und sich so auf den aktuellen Stand gebracht. Einen Auszug dieser tagebuchähnlichen Nachrichten lesen sie hier.
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"Ihr Lieben – Corona hat uns alle im Griff. Ihr könnt nicht mehr auftreten. Die offene Welt – dicht gemacht. Theater, Musik, Kunst – nicht mehr zugänglich. Und was wird jetzt aus Euch, meine Freundinnen, die ihr Musikerinnen seid? Mit meinem Redakteur von BR-KLASSIK habe ich eine Idee für ein Feature für heute in möglichst genau einem Jahr... ein Rückblick, wenn die Welt sich geändert haben wird. Ich möchte uns hiermit in einer WhatsApp-Gruppe vernetzen und dokumentieren, wie es Euch geht, womit ihr kämpfen müsst, woran ihr glaubt, was ihr hofft, was sich auftut, wie ihr beruflich überlebt, was sich für Euch entwickelt, was ihr denkt, erlebt. Plaudert drauf los – egal in welcher Situation."
"Hallo. Ich war in Proben zu 'Rheingold' an der Opera de Bastille in Paris. Seit langem mal wieder eine Neuproduktion…"
"Eine zweiwöchige USA-Tournee abgesagt mit internationalem Tangoband-Wettbewerb in New York City, in dem wir als Quartett im Finale waren. Ein paar große Festivals in Frankreich und Schweiz fallen weg sowie eine CD-Präsentation mit der Uraufführung von Neukompositionen… dazu kleine Konzerte in Deutschland und ein Workshop für Musiker im Tangobereich."
"So, wie es aussieht, bekomme ich Unterstützung durch Hartz IV für sechs Monate. Der Bescheid kommt wahrscheinlich am Samstag... Dann wäre zumindest meine Grundsicherung abgesichert und eventuell ist dann auch mein Kopf freier. Hoffe, euch geht's allen gut soweit."
"Hallo liebe Gruppe, heute machen wir wieder ein Online-Live-Konzert. Wir hoffen, dass uns die Technik nicht hängen lässt. Ich wünsche euch weiterhin viel Kraft und Zuversicht. Liebe Grüße"
...haben mit Online-Streaming-Konzerten begonnen, Karoline Renner konzentriert sich auf ihre Schülerinnen und Schüler und übt sich im Online-Unterricht. Anna Handler studiert weiter, die Opernsängerin Anna Gabler versucht, neue Rolle einzustudieren, aber der Leerlauf ist hart.
"Meine Tagesstruktur ist nicht besonders ereignisreich – hab meinen Pass organisiert aus einem geschlossenen Passamt, und habe das geschafft…"
"Es war unglaublich, ich war wie ausgehungert oder halb verdurstet. Und ich hab einfach gewusst: Ja, deswegen bin ich Orchestermusikerin!"
"Alles geht online. Aber mein Computer ist alt und oft kann ich am Ende etwas nicht abschicken oder die ganze Zeit stürzt etwas ab oder man soll dafür Apps runter laden, aber das Handy ist nicht kompatibel – ein Wahnsinn."
Die zweite Corona-Welle, der zweite Lockdown. Am 7. November soll das Konzert sein, das die Studentin Anna Handler für ihr neu gegründetes Ensemble "Enigma Classica" mit großem persönlichen Einsatz organisiert hat. Und jetzt? Absagen? Durchziehen?
Anna Handler | Bildquelle: Privat "Was soll ich denn jetzt machen?! Jede Auftrittsmöglichkeit ist für uns eine Chance auf Weiterentwicklung und eine Chance, sich zu behaupten. Wenn du das alles eindämmst, dann stoppst du eine Entwicklung! Und dann stoppst du auch die Zuversicht in diese Branche und in diesen Beruf. Wir sind jetzt Mitte 20 und nirgendwo wird eingestellt! Probespiele finden nicht statt. Keine Stellen sind ausgeschrieben. Was soll man da machen? Man hat investiert. Jetzt kann man nicht mehr anfangen, Medizin zu studieren – will man ja auch nicht."
"Ich hab so die Schnauze voll davon, dass ich nur noch denke: Nein, ich möchte endlich wieder Menschen treffen und ich möchte mit Menschen zusammen Musik machen und nicht mit Computern. Nee!"
Das Musikfeature von Bettina Mittelstraß mit WhatsApp-Sprachnachrichten über Musikerinnen, die ihr Leben mit der Pandemie meistern, läuft am Freitag, 19. März 2021, um 19.05 Uhr und am Samstag, 20. März 2021, um 14.05 Uhr im Radio.