Jede Musikerkarriere verläuft anders. Aber wie kann man junge Künstlertalente am besten fördern? Heide Schwarzweller hat zu dieser Frage ein Buch herausgegeben. "Wegbereiter. Wegbegleiter" lässt etablierte Künstler, Mäzene und Intendanten zu Wort kommen, die von eigenen Erfahrungen der Nachwuchsförderung berichten. Sie geben einen ehrlichen Einblick in die heutige Klassikwelt und verraten Tricks, wie Musikertalente sich heutzutage behaupten können.
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Schon im Mutterleib nehmen Babys Musik wahr. Kleine Kinder fangen bei Musik intuitiv an zu singen und zu tanzen. Musik gehört zum Menschsein dazu. Viele Eltern wünschen sich deshalb, dass ihr Kind eine musikalische Ausbildung erhält. Am besten schon im Vorschulalter. "Wenn sich bei Kindern und Jugendlichen Leidenschaft für ein Instrument zeigt, sollte man sie unbedingt unterstützen", ermutigt der Cellist Daniel Müller-Schott. Freiwilligkeit sei dabei das A und O, ergänzt die Geigerin Julia Fischer: "Der Wunsch, ein Instrument zu erlernen, sollte unbedingt vom Kind ausgehen und formuliert werden." Wichtig dabei sei aber auch, den Kindern klarzumachen: Wenn du ein Instrument erlernen willst, gehören Üben, Fleiß und Disziplin mit dazu. Das kann durchaus für Frust sorgen. Der Geiger Daniel Hope erinnert sich: "Eine Stunde Üben am Tag war eine Ewigkeit für mich als Kind, gerade wenn ich das Fußballspielen dafür unterbrechen musste."
Schulprojekt "Das Gershwin Experiment": Schüler der Münchner Mittelschule Blumenau experimentieren mit der Musik von George Gershwin. | Bildquelle: BR / Astrid Ackermann Die meisten Musiker, die für Heide Schwarzwellers Buch "Wegbereiter. Wegbegleiter" interviewt wurden, stammen selbst aus Familien, in denen viel musiziert wurde. Tobias Wollermann, Geschäftsführer von "Young ClassX", ist überzeugt, dass es auch talentierte Kinder jenseits von Musikerfamilien gibt. Deshalb betreut er mit seinem Projekt über 50 Schulchöre und stellt Schulorchestern Instrumente zur Verfügung. "Wir bringen Musik dahin, wo sie sonst kaum stattfindet." Ein weiteres erfolgreiches Projekt ist "Rhapsody in School": namhafte Musiker gehen in Schulklassen, stellen ihr Instrument und ihre Musik vor. "Das Projekt bietet optimale Möglichkeiten, mit Schulen zu kooperieren und die Musik mit Kindern zu teilen", schwärmt Daniel Müller-Schott, der selbst mehrmals bei "Rhapsody in School" dabei war.
"Ein guter Lehrer investiert viel Zeit, zeigt starke Nerven und Geduld", sagt Cellist Jan Vogler. Der Instrumentalunterricht ist das Herzstück der musikalischen Ausbildung. Eine gute zwischenmenschliche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ist dabei für den Klarinettisten Matthias Schorn entscheidend: "Als ich im Alter von 16 Jahren zum Studieren nach Wien kam, behandelte mich mein Lehrer wie einen Sohn. Das half mir bei der musikalischen und menschlichen Entwicklung sehr." Ein guter Lehrer vermittelt nicht nur technisches Können, sondern berät seinen Schüler auch bei seiner künstlerischen Entwicklung. "Die größte Herausforderung besteht tatsächlich darin, zu entscheiden, wie viel Einfluss man auf einen Musiker nimmt und wie viel Input man von diesem Musiker selbst einfordert", berichtet Julia Fischer von ihrer eigenen Erfahrung als Professorin.
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Wer bin ich als Künstler, was sind meine Stärken? Warum ist mir Musik wichtig? Es ist wichtig für Nachwuchsmusiker, sich diese Fragen immer wieder neu zu stellen. Mentoren können dabei beratend zur Seite stehen. Auch, wenn es gerade nicht so rund läuft. "Förderung heißt auch, dass man eingreift, wenn aus Passion Fanatismus wird oder Blockaden auftreten", sagt Daniel Müller-Schott. Dabei ist das richtige Maß entscheidend. Förderer sollten – auch, wenn es gut gemeint ist – nie dem Künstler ihre eigenen Überzeugungen überstülpen, mahnt Markus Fein, Intendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. "Helfen bedeutet nicht, jungen Menschen die eigenen Ideen und Modelle aufzudrängen, sondern sie in den Stand zu versetzen, sich selbst zu fördern." Klarinettist Reiner Wehle merkt außerdem an, dass eine hohe künstlerische Ausbildung noch keine Künstlerpersönlichkeit ausmacht. Sein Tipp: Sich nicht nur mit Musikprogrammen befassen, sondern auch mal ein gutes Buch lesen, neugierig auf die Welt sein.
Nur 10 Prozent der Musikstudenten können nach dem Studium vom Musikerberuf leben. | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Nicht jeder Musiker kann Solist oder 'Wiener Philharmoniker' werden. Diese Wahrheit sollte man jungen Leuten nicht ersparen", findet Matthias Schorn. Neunzig Prozent der Absolventen deutscher Konservatorien und Musikhochschulen schaffen es nicht, vom Beruf des Musikers zu leben. Es gibt heute 43 Prozent mehr Hochschulabsolventen als vor 20 Jahren, aber 22 Prozent weniger Orchester. Klaus Landry, Vorstandsvorsitzender der Hamburgischen Kulturstiftung, meint deshalb: "Es ist eine ungeheure Grausamkeit, am Schluss einer Ausbildung zu erkennen, dass es nicht reicht." Landry sieht den Fehler bei denjenigen Hochschulen, die möglichst viele Studenten aufnehmen. Verantwortungsvolle Förderung bedeutet seiner Meinung nach auch: Wege jenseits des Musikstudiums aufzuzeigen. Musik als Hobby kann erfüllender sein als ein geplatzter Karrieretraum.
Wer den ersten Preis beim einem internationalen Musikwettbewerb gewinnt, dem ist die Aufmerksamkeit der Klassikwelt sicher. Aber was ist mit den Zweit- oder Drittplatzierten, die auch hervorragende Leistungen abliefern? Reiner Wehle kritisiert, dass diese Musiker schnell in Vergessenheit geraten. Als positives Beispiel für eine nachhaltige Wettbewerbsstrategie nennt er den Deutschen Musikwettbewerb: Die Musiker, die es bis zur dritten Runde schaffen, bekämen 50 bezahlte Konzerte, lobt er. "Du verdienst Geld – und lernst viele Leute kennen." Preisgelder können helfen, CD-Produktionen zu finanzieren, Fahrtkosten abzudecken und Musikern den Alltag eine Weile zu erleichtern. Ob sie aber langfristig die Karriere fördern, bezweifelt der Pianist Alexander Krichel: "Preisgelder sind großartig. Aber auf lange Sicht ist es das Wichtigste, dass man starke Mentoren hat."
Wegbereiter. Wegbegleiter
Realität, Strategien und Wege musikalischer Nachwuchsförderung
Heide Schwarzweller (Herausgeberin)
Hardcover, 240 Seiten
Ellert & Richter Verlag, 2020
978-3-8319-0766-3 (ISBN)
Die wenigsten Musiker können sich ein wertvolles Instrument aus eigener Tasche leisten. Instrumentenfonds und Stiftungen, die Instrumente für begabte Nachwuchskünstler finanzieren, schließen diese Lücke. Die Haspa Musik Stiftung hat zum Beispiel bei einer Geigenbaumeisterin Instrumente für talentierte Kinder bauen lassen. Wichtig dabei: das Instrumentenleihgabe muss auch zum Kind passen, unterstreicht Geschäftsführerin Janna Prüßner.
Ein Buch über Nachwuchsförderung: "Wegbereiter. Wegbegleiter" | Bildquelle: Verlag Ellert & Richter Musiker spielen nicht für sich, sondern brauchen ein Publikum. Klarinettist Matthias Schorn betont, wie wichtig es ist, sich möglichst früh mit der Bühne vertraut zu machen. Das muss nicht unbedingt ein großer Konzertsaal sein. Auch auf Hochzeitsfeiern, bei Beerdigungen und Jubiläumsparty können Künstler wichtige Erfahrungen sammeln, findet der Musikwissenschaftler Dieter Rexroth. Wer Musiker fördern will, sollte ihnen Auftrittsmöglichkeiten verschaffen. "Ich sage den jungen Musikern: ihr müsst unten anfangen", erklärt Reiner Wehle. "Ihr müsst ein Programm haben und ein kleines Konzert. Und wenn ihr bei jedem Abend, an dem ihr ein Konzert spielt, wieder ein Konzert dazu kriegt, dann arbeitet ihr euch langsam hoch." Einige Festivals haben Konzertreihen ins Leben gerufen, bei denen junge Künstler jedes Jahr auftreten können. Dadurch entstehen musikalische Partnerschaften und Freundschaften unter Musikern.
"Der CD-Markt ist tot" stellt Klarinettist Reiner Wehle klipp und klar fest. "Heute müssen alle CDs vom Künstler vorfinanziert werden, außer wenn es sich um Lang Lang oder Anna Netrebko handelt." Eine Kammermusik-Produktion kann schnell mehrere Tausend Euro kosten, eine Orchester-Aufnahme bis zu 40.000 Euro. Trotzdem sind CD-Aufnahmen für Künstler nach wie vor eine Visitenkarte. Eine Förderung durch ein Label kann einem Künstler Sicherheit geben, erzählt Alexander Krichel aus eigener Erfahrung: "Als Musiker hat mich der Vertragsabschluss mit einem bedeutenden CD-Label nicht verändert, ebenso wenig die Förderung. Viel wesentlicher war für mich die menschliche Dimension, die Tatsache, dass ich fortan Ruhe und Zeit hatte, mich zu entwickeln, Wissen zu erlangen und mich auf die Kunst zu konzentrieren."
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"Es gibt immer noch Schöngeister, die nur die hohe Kunst sehen. Die haben zwar Wettbewerbe gewonnen, wissen aber nicht, wie sie an Engagements kommen", kritisiert Tobias Wollermann von Young ClassX. Wer sich heute auf dem hartumkämpften Klassikmarkt behaupten will, braucht auch Kenntnisse in Kommunikation, Rechnungswesen, Urheberrecht, Zeit- und Selbstmanagement, findet Regina Back, geschäftsführender Vorstand für die Claussen-Simon-Stiftung in Hamburg. Deshalb fördert sie junge Musiker, indem sie Seminare zum Thema "Selbstvermarktung" gibt. "Wann kümmere ich mich um meine Buchhaltung? Wie kommuniziere ich mit Veranstaltern und Agenturen? Viele junge Leute haben das nie gelernt." Instagram, YouTube und Facebook sind für Künstler wichtige Plattformen geworden. Das entsprechende Know-how zu vermitteln – auch das gehört heute zur Nachwuchsförderung.
Sendung: "Leporello" am 18. Juni 2020 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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