Am lange grassierenden "Modernitäts-Wettbewerb" innerhalb der musikalischen Avantgarde hat er sich nie beteiligt. Aribert Reimann ging von Anfang an konsequent seinen eigenen Weg. Und der wurde von Erfolg gekrönt. Nichtsdestoweniger ist Reimann stets bescheiden und selbstkritisch geblieben. Am 4. März wird Reimann 80 Jahre alt. Ein Interview zum 80. Geburtstag des Komponisten.
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Ein erfolgreicher Außenseiter
Porträt Aribert Reimann zum 80. Geburtstag
BR-KLASSIK: Herr Reimann, verraten Sie uns, wie Sie diesen besonderen Tag - Ihren 80. Geburtstag - feiern wollen?
REIMANN: Am Abend wird es ein Konzert mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin geben. Das Programm wurde dazu von den Mitgliedern des Orchesters zusammengestellt. Das Ganze soll eine Überraschung sein, ein Geburtstagskonzert, über das ich mich riesig freue.
BR-KLASSIK: Schöner kann man einen Komponisten nicht beschenken. Es gibt verschiede Arten, wie Künstler altern. Das Wort Alterswerk hat auch seinen gewissen Nimbus, wenn man an Beethoven denkt, auch an Künstler wie Goethe oder Michelangelo. Künstler, die, je älter sie wurden, immer radikaler wurden. Sehen Sie bei Ihrem Alterswerk ähnliche Tendenzen?
REIMANN: Ich glaube nicht, dass ich heute radikaler bin als zu Zeiten der Erschaffung der Oper "Lear". Der Klang meiner Musik ist ein bisschen ausgedünnter und karger geworden. Das Orchester ist nicht mehr so riesig, wie beispielsweise bei "Lear" oder bei "Troades". Bei "Bernarda Albas Haus" hatte man vier Flügel, nur Celli, sonst gar keine anderen Streicher und Holzbläser, und nur etwas Blech. Bei "Medea" war es eigentlich ein normales Orchester, aber eben nicht mehr so wie bei Lear.
BR-KLASSIK: Ist das Pragmatismus oder ist das künstlerische Entscheidung?
REIMANN: Ich kann mich nicht wiederholen, und was ich einmal gemacht habe, das habe ich gemacht. Der Weg geht dann weiter. Jetzt bin ich momentan an einer neuen Oper, kann aber noch nicht viel darüber sprechen. Es sind aber drei Teile, zwei Teile davon sind bereits fertig, und auch da fällt mir auf, dass die Reduzierung und die Verknappung eine ganz große Rolle spielen. Eindringliche und radikale Momente zeichnen sich dann in dem aus, was ich hinschreibe.
BR-KLASSIK: Kann man denn sagen, dass Sie noch lernen? Denn wenn Sie sagen, Sie können sich nicht wiederholen, dann ist ja auch jedes Werk ein Einzelfall, so dass man nur begrenzt von dem profitieren kann, was man schon kann.
REIMANN: Mit jedem Stück habe ich immer wieder das Gefühl, dass ich von vorne anfange und noch nie eine Note komponiert habe. Es gibt keine Routine und Routine ist für mich das Schlimmste, was es gibt - gerade im Komponieren. Man versucht, mit seinem Handwerk, das man im Laufe der Jahrzehnte gelernt hat, umzugehen und es weiterzuentwickeln. Ich bin immer dabei, Neues zu finden, etwas, was ich vorher noch nicht gemacht habe.
BR-KLASSIK: Wie viel Geniegedanke steckt denn in dieser Art, dass man immer wieder von Null anfängt? Ist das denn wirklich realistisch? Denn natürlich akkumuliert sich in so einer künstlerischen Vita viel Können und Erfahrung.
REIMANN: Das ist ganz klar. Die Erfahrung habe ich auch gemacht, und sie hat mich auch gelehrt. Insofern auch gelehrt, dass ich immer wieder etwas Neues finden muss. Jedoch auf der Substanz und auf der Grundlage meiner Entwicklung, die ich nun in den letzten Jahrzehnten genommen habe.
BR-KLASSIK: Dieser Schwindel vor der leeren Seite wird ja immer wieder von kreativen Menschen beschrieben, selbst Journalisten sollen das Gelegentlich erleben. Ist es denn leichter geworden, damit fertig zu werden und anfangen zu können?
REIMANN: Nein, ganz im Gegenteil. Die zwanzig-Mal-fünf Notenlinien auf einer Seite starren mich nach wie vor leer an. Man schreibt nicht einfach so hin. Das habe ich auch eigentlich nie so getan, denn man überlegt sich bewusst bei jeder Note, schreibe ich sie jetzt hin oder schreibe ich sie nicht hin.
BR-KLASSIK: Sie haben gerade schon Ihre Oper "Lear" erwähnt, die zu den bekanntesten Werken Ihres Opern-Repertoires zählt. Im Mai wird sie zudem an der Opéra de Paris wiederaufgenommen. Wenn Sie sagen würden, dass das vielleicht ihr Hauptwerk ist, könnten Sie sich damit anfreunden oder sind Ihnen all ihre Kinder gleich nah?
REIMANN: Hauptwerk würde ich nicht sagen. Es ist die Oper, die am meisten gespielt wird. Mit Paris ist das die 27. Produktion, eine Neuproduktion. Die Gespenstersonate, als Kammeroper, hat inzwischen ebenfalls über 25 Produktionen hinter sich. Doch eine Oper ist mir ganz besonders wichtig, nur ist sie sehr schwer aufzuführen, das war damals schon klar. Es handelt sich um die Oper "Troades", bei der ein Viertel der Oper nur aus einem Frauenchor besteht. Die Uraufführung war damals auch in München. Sie liegt mir besonders am Herzen, weil ich einmal in meinem Leben eine Oper gegen den Krieg und für das Überleben schreiben wollte. Genau das erleben wir momentan mit der Flüchtlingssituation.
BR-KLASSIK: Sie haben gerade erwähnt, wie oft ihre Opern nachgespielt werden. Leider ist das in der zeitgenössischen Musik ein Sonderfall. Aber das spricht für die Qualität Ihrer Partituren, vielleicht auch für die kommunikative Kraft Ihrer Musik. Haben Sie das Gefühl, dass man Sie versteht oder gibt es auch immer wieder das Gefühl, dass Sie etwas schreiben, aber es nicht richtig verstanden wird?
REIMANN: Die Frage stellt man sich immer. Beim Komponieren denke ich überhaupt an gar kein Publikum. Des Weiteren, was ist das Publikum? Das setzt sich aus hunderten von Schichten zusammen. Für mich gibt es nur ein imaginäres Gegenüber, aber niemals ein Gezieltes. Ob das Publikum das dann verstanden hat, das weiß ich nicht. Dennoch spüre ich aus der Reaktion, dass es das Publikum erreicht hat.
BR-KLASSIK: Welchen Wunsch haben Sie zu Ihrem 80. Geburtstag?
REIMANN: Es kommen Freunde, darüber freue ich mich. Persönlich wünsche ich mir, dass ich sehr gut weiterarbeiten kann und erstmal mit meiner nächsten Oper fertig werde. Dazu brauche ich noch mindestens bis Ende des Jahres, und darauf werden weitere Aufgaben folgen. Vor allem wünsche ich mir aber, dass ich gesund bleibe um alles zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe.
Das Gespräch führte für BR-KLASSIK Bernhard Neuhoff.
Am 3. März, von 22:05 bis 23:00 Uhr, widmet sich die Sendung Horizonte dem 80. Geburtstag des Komponisten.
Neben Musik aus "Lear" und anderen Werken ist auch Reimanns "Cantus" für Klarinette und Orchester zu hören - mit Jörg Widmann als Solist.