Am 7. Juli dirigiert Mathias Pintscher das BR-Symphonieorchester bei der musica viva. Auf dem Programm steht auch seine eigene Komposition "with lilies white". Im Interview spricht er über dieses Werk - und warum die Holzhütte des Regisseurs Derek Jarman eine Inspiration dafür darstellte.
Bildquelle: © Astrid Ackermann
Das Interview zum Anhören
BR-KLASSIK: Matthias Pintscher, "with lilies white" - so heißt ein Lied von William Byrd, und so heißt auch Ihr gleichnamiges Stück, in dem Sie sich auf William Byrd beziehen. Welche Art von Verbindung gibt es zwischen diesem gut 400 Jahre alten Lied und Ihrem Werk?
Matthias Pintscher: Dieses Madrigal von William Byrd ist ursprünglich für ein Gambenconsort geschrieben; es ist eine Musik, die Nostalgie atmet und in ihrer Form wirklich einzigartig ist. Da schwingt eine vokale Dunkelheit, die mich wirklich sehr fasziniert. Ich spreche durchaus auch von der Vokalität der Gamben, der Cellostimmen. Und dieser Halbkreis von acht Celli umarmt, umfängt eigentlich den Hauptprotagonisten dieses Stücks - einen Knabensopran, der die Originalmusik von William Byrd singt.
Der Knabe trägt die Symbolik des Puren und Reinen in sich.
BR-KLASSIK: Man verbindet normalerweise mit einer Knabenstimme so etwas wie Reinheit und Unschuld - eigentlich etwas Ähnliches wie das, was in dem Titel bereits mitschwingt: Auch die weißen Lilien sind ein Symbol der Unschuld. Ist das ein Bezug, der wichtig ist für den Einsatz des Knabensoprans in Ihrem Werk - das Bild der Unschuld?
Matthias Pintscher: Es gibt ja noch eine zweite Schicht, nämlich diese Texte von Derek Jarman - seine Sterbenotizen … Wie er in seiner kleinen Hütte an der englischen Küste liegt und in einen letzten Raum hineinhört. Diese Texte haben für mich eine große Schlichtheit; das ist einfach von einer solchen Klarheit, dass ich deswegen auch einen Knabensopran verwendet habe, weil hier gar nichts zusätzlich hergestellt werden muss, um die Expressivität zu erhöhen, die in den Zitaten von William Byrd ohnehin vorhanden ist. Klar, der Knabe trägt die Symbolik des Puren und Reinen in sich. Die Lilie ist aber auch ein Symbol für den Tod, sie ist die Todesblume. Die Wechselwirkung dieser beiden verschiedenen Ausdrucksperspektiven ist bewusst hineinkomponiert.
Die Zwischenspiele erinnern an die Posaunen von Jericho.
BR-KLASSIK: Jetzt haben Sie die zweite Inspirationsquelle für Ihr Stück bereits angesprochen: einen Text des Filmemachers Derek Jarman. Ist dieser Text veröffentlicht?
Matthias Pintscher bei der Probe | Bildquelle: © Astrid Ackermann Matthias Pintscher: Das sind Tagebuchnotizen - also keine Poesie, sondern Gedanken, Worte, die er in sein Tagebuch notiert hat. Aber diese Worte sind ja allgemein zugänglich. ich war so inspiriert, weil ich wirklich diese Holzhütte gesehen habe, die zwischen zwei Atomkraftwerken auf einer Steilküste in England steht: Jarman hat dort einen Garten angelegt. Da gibt es gar nicht viel Erde, sondern es ist alles Kies, und aus diesen unfruchtbaren Steinen sprießen dort Pflanzen von unglaublicher Farbenpracht: Zwischen diesen beiden Atomkraftwerken - also einem Ort, der total kaputt ist und zerstört und nuklear - entsteht also diese Vision des Blühens. Die Besichtigung dieses Orts hat mich sehr inspiriert, darüber nachzudenken, wie ich diese Idee einer imaginären Weite auch in den Klang übersetzen kann. Das Bedrohliche kommt sicherlich in diesen unglaublich opulenten, sehr brachialen, dramatischen und lauten Zwischenspielen zum Vorschein. Das erinnert an die Posaunen von Jericho: Es gibt ja drei Posaunen, die vorne im Orchester platziert sind - hinter dem Cello-Halbkreis - und diesen Knabensopran beschießen und bedrohen mit ihren metallischen Klängen.
Ich versuche immer, der bestmögliche Advokat einer Partitur zu sein.
BR-KLASSIK: Außer Ihrer eigenen Komposition dirigieren Sie ja noch drei weitere Werke. Macht das für Sie einen Unterschied, ob Sie ein eigenes Werk oder Stücke Ihrer Kollegen dirigieren?
Matthias Pintscher: Ehrlich gesagt, nein, überhaupt nicht. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich "with lilies white" lange Zeit nicht aufgeführt habe, und ich musste mich wirklich hinsetzen und diese Partitur wieder lernen - genau wie die anderen Kompositionen von Mark Andre, György Kurtág und Jonathan Harvey. Das Erarbeiten ist für mich identisch, ob ich ein eigenes Stück aufführe oder eine Symphonie von Beethoven. Ich versuche einfach immer, der bestmögliche Advokat für die Anforderungen und die Stilistik einer jeden Partitur zu sein.
Die Fragen stellte Michaela Fridrich für BR-KLASSIK.
Sendung: "Leporello" am 06. Juli 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
Freitag, 07. Juli 2017
München, Herkulessaal der Residenz
Im Rahmen des "musica viva"-Wochenendes
Matthias Pintscher:
"with lilies white"
Fantasie für Orchester mit Stimmen
Mark Andre:
"woher … wohin" für Orchester
Uraufführung
György Kurtág:
"Petite musique solennelle en hommage à Pierre Boulez 90"
für Orchester
Jonathan Harvey:
"…towards a pure land "
für großes Orchester
Anna-Maria Palii (Sopran)
Sarah Aristidou (Sopran)
Sheva Tehoval (Sopran)
Vinzenz Löffel (Solist der Augsburger Domsingknaben)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Matthias Pintscher