Wolfgang Lischke steht in den Bavaria-Musikstudios vor den Bläsern des Bayerischen Landesjugendorchesters und probt konzentriert. An der Seite sitzen vier Dirigenten, die ihm interessiert auf die Finger schauen und sich Notizen in ihre eigenen Partituren machen. Lischke einer der Lehrer der Orchester- und Dirigenten-Akademie beim Stockhausen-Festival der "musica viva". Gemeinsam wollen die Orchestermusiker und Dirigierstudenten das fast Unmögliche wahr machen und Karlheinz Stockhausens "Hymnen. Elektronische Musik für Orchester" gemeinsam erarbeiten. Zeitgleich zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das "Hymnen" am 23. und 25. Oktober unter Peter Eötvös aufführen wird.
Karlheinz Stockhausen im Studio in Köln, 1967 | Bildquelle: BR / Stockhausenstiftung
Genau genommen gibt es gleich drei "Hymnen": In einer reinen Tonband-Fassung mit Lautsprechern vor dem Publikum. Mit einem kleinen Ensemble, das zur Aufnahme improvisiert und in einer Orchesterfassung; auch hier mit Tonband. Karlheinz Stockhausen schrieb das Werk auf Initiative von Leonard Bernstein und im Auftrag der New Yorker Philharmoniker. Die Uraufführung fand 1971 in New York unter der Leitung des Komponisten statt. Für das Programmheft notierte Stockhausen:
"Amerika, Land der Flüchtlinge, der Vertriebenen, der Zusammengewürfelten: Ich habe Dir diese Musik auf den Leib geschrieben..." Karlheinz Stockhausen über Hymnen
Alle Nationalhymnen in 42 Minuten - bei der Akademie läuft Stockhausens elektronische Vierkanalton-Klangwelt allerdings nicht wie 1971 vom Tonband, sondern vom Computer: stark bearbeitete Nationalhymnen, angeblich alle der Welt. Zu hören sind Sprache und elektronische Geräusche. Das Orchester spielt dazu weitere zitatartige Klangfetzen.
"Gestern hatten wir zum ersten Mal die Gelegenheit, mit dem Band zu dirigieren, was sehr schwer war, denn jedes Detail scheint superwichtig im Zusammenhang. Jedes Mal, wenn ich das Stück noch einmal höre, entdecke ich neue Sachen und immer mehr Informationen auf der Partitur." Josep Planells Schiaffino, Dirigent und Akademieteilnehmer
Die vorproduzierte Aufnahme Stockhausens soll mit dem Instrumentalklang verschmelzen. Dazu müssen Musiker und Elektronik absolut synchron sein - eine Herausforderung. Karlheinz Stockhausen fordert von jedem Musiker "Miniatur-Improvisationen": versetztes Einsetzen, flexible Tonhöhen und ungleichmäßige Rhythmik bei Wiederholungen. Dennoch ist Wolfgang Lischke vor allem das Musizieren wichtig, ungeachtet der vertrackten Rhythmen.