In Amerika sind sie Stars, in Europa kennt man sie kaum: die jungen Musiker vom Parker Quartett. Derzeit sind sie auf Tournee in Deutschland unterwegs - zusammen mit der Bratschistin Kim Kashkashian.
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BR-KLASSIK: Jede Demokratie braucht eine Verfassung. Sind Sie als Ensemble eine Demokratie und wie sieht Ihre Verfassung aus? Und ist die geschrieben oder ungeschrieben?
Daniel Chong: Wow, Sie stehen wohl auf schwere Fragen. Unsere Verfassung ist definitiv ungeschrieben, wird aber von uns allen geteilt. Wir befolgen unsere gemeinsamen Ideale, nämlich zusammen zu musizieren und damit etwas zu schaffen, das über jeden einzelnen von uns hinausgeht.
BR-KLASSIK: Aber beim Streichquartett hat man ein kleines Problem: Man hat eine gerade Zahl, Mehrheiten sind also nicht so leicht zu erzielen. Was machen Sie, wenn es ein "Patt" gibt?
Ying Xue: Das kommt auf das Problem an. Wenn es nichts mit Musik zu tun hat, sondern es zum Beispiel um eine Entscheidung geht, bei der sich einer ganz schlecht fühlt, dann respektieren wir das normalerweise. Denn wir sind der Meinung, dass wir uns alle gut damit fühlen müssen. Wenn es aber um eine musikalische Frage geht, dann übernehmen wir manchmal eine Idee für ein Konzert, schauen was passiert und besprechen das dann. Glücklicherweise finden wir dann oft nochmal eine ganz andere, dritte Lösung.
Musik spielt in Europa eine wichtigere Rolle als in Amerika.
BR-KLASSIK: In Amerika sind Sie schon Stars, in Europa kennt man Sie noch nicht. Warum hat es so lange gedauert, bis Sie nach Deutschland gekommen sind?
Bildquelle: © Jamie Jung Jessica Bodner: Wir sind jedenfalls sehr glücklich, daß wir jetzt in Deutschland auftreten können. Es ist sowieso etwas ganz Besonderes für uns, in Europa zu spielen. Aber Deutschland ist noch einmal ganz speziell, wegen der Geschichte. Und weil hier - wie überhaupt in Europa - das Publikum anders reagiert. Man spürt, dass die Musik hier eine wichtigere Rolle im Leben spielt als in Amerika. Das schafft eine ganz besondere Atmosphäre. Wir hatten sehr unterschiedliche Beziehungen zu den einzelnen Ländern. Als wir vor zehn Jahren zum ersten Mal nach Europa kamen, sind wir hauptsächlich in Frankreich geblieben, auch wegen des Wettbewerbs in Bordeaux. Wir hatten damals noch keine Möglichkeit, in der deutschen Konzertszene Fuß zu fassen. Aber glücklicherweise haben wir über die Jahre hinweg einige Kontakte knüpfen können. Jetzt haben wir einen großartigen deutschen Agenten. Wir hoffen, hier noch öfter spielen zu können. Vor allem möchten wir sehr gut spielen, sodass die Leute uns immer wieder hören wollen.
BR-KLASSIK: Für das Streichquartettspiel in Amerika sind zwei Institutionen sehr wichtig: die Universitäten und das National Public Radio. Jetzt heißt es, dass Donald Trump die Zuschüsse für dieses öffentliche Radio streichen will - ebenso wie für das National Endowment for the Arts. Das sind ja keine besonders guten Aussichten. Wie gehen Sie damit um?
Daniel Chong: Es ist ganz eindeutig keine gute Zeit für die Kunst in unserem Land. Ich denke aber, dass Konzertveranstalter davon viel mehr betroffen sein werden als wir. Die Möglichkeiten werden wahrscheinlich begrenzter sein. Auf der anderen Seite bin ich davon überzeugt, dass es immer noch sehr viele Menschen gibt, die Kultur und Musik weiterhin unterstützen werden. Auch wenn viele sehr enttäuscht sind, spürt man doch Leidenschaft, Inspiration und den Wunsch, das Wichtige aufrecht zu erhalten. Ich bin sicher, dass im Endeffekt immer noch genug Energie da ist, um das, was wir machen und die Musik und Kultur in unserem Land zu bewahren.
Unsere Nation muss jetzt andere Möglichkeiten ausloten.
Jessica Bodner: Es ist wirklich toll zu beobachten, wie Freunde von uns und viele Menschen im Land seit den Wahlen eher noch leidenschaftlicher für ihre Anliegen eintreten. Wie Daniel schon gesagt hat, glaube ich fest daran, dass wir Wege finden werden, um Kunst, und alles, was für unser Leben wichtig ist, weiter machen zu können. Vielleicht muss unsere Nation jetzt aber andere Möglichkeiten ausloten. Ich glaube daran: Alle brennen dafür - mehr als je zuvor.
BR-KLASSIK: Trump weckt die Lebensgeister und vielleicht auch den Widerstandsgeist.
Kee-Hyung Kim: Die Frage ist nun, wie man das alles in den Griff bekommt, wie man die Wut überwindet und etwas Positives tun kann. Man muss für die Kunst und für die Musik eintreten.
BR-KLASSIK: Sie sind hier in Deutschland gemeinsam mit Kim Kashkashian aufgetreten. Wie wichtig ist sie für Sie? Ist sie so eine Art Mentorin oder Lehrerin?
Jessica Bodner: Das ist eine sehr zentrale und schwere Frage. Sie war eine meiner wichtigsten Lehrerinnen. Sie bleibt immer eine bedeutende Mentorin für unser Quartett. Sie würde bestimmt selbst wollen, daß wir uns über diese Vorstellung hinaus entwickeln. Sie möchte uns sicher eher als Kollegen sehen - so wie wir uns eben bei Proben und bei Konzerten fühlen. Wir müssen daran arbeiten, uns selbst auch so zu sehen. Wir müssen noch verinnerlichen, dass sie sich am meisten darüber freut, wenn wir selbst unser Bestes geben und uns nicht als ihre Schüler betrachten. Es war wirklich eine große Ehre, mit ihr auf dieser Tournee zu spielen. Wir sind ihr sehr dankbar, dass sie uns begleitet hat.
Daniel Chong: Ich habe in den letzten Tagen öfter darüber nachgedacht. Es ist ungefähr so wie auf einem Schiff. Manchmal ist sie ein Mitglied der Crew, manchmal steuert sie das Schiff. Und manchmal kommt es einem so vor, als sei sie ein Pirat, der unseren Weg durchkreuzen will, damit wir etwas Neues entdecken. Es ist eine sehr vielschichtige Erfahrung. Aber letztendlich sind ihre Maßstäbe und ihre Ideale so inspirierend, dass jedes Konzert mit ihr für uns einfach eine Erfüllung ist.
Das Gespräch führte Bernhard Neuhoff für BR-KLASSIK.
Mittwoch, 25. Januar 2017, 20.00 Uhr
Memmingen, Stadthalle,Kleiner Saal
Benjamin Britten: Streichquartett Nr. 2 C-Dur op. 36
Franz Schubert: Streichquartett Nr. 15 G-Dur D887
Daniel Chong, Violine
Ying Xue, Violine
Jessica Bodner, Viola
Kee-Hyun Kim, Violoncello
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