Am Sonntag wählt Sachsen-Anhalt einen neuen Landtag. Die Prognosen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD als stärkste Parteien hin. Während die CDU in ihrem Programm davon spricht, die bestehende Kulturlandschaft zu erhalten, würde sich mit der AfD einiges ändern. Eine Analyse von Stefan Petraschewsky, Theaterredakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk.
Bildquelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas
Das AfD-Wahlprogramm für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat ein eigenes Kapitel zu "Bildung, Kultur & Wissenschaft". Es ist überschrieben mit dem Satz: "Bildung statt Indoktrination!" Das transportiert eine Unterstellung, nämlich, dass Kultur, Bildung und Wissenschaft sich in den Dienst einer bestimmten Politik oder Weltsicht gestellt hätten. Man könnte meinen, es geht der AfD also um Aufklärung. Ein Trugschluss. Konkret heißt es im Wahlprogramm, dass "die vornehmste Aufgabe aller Kunst darin besteht, kulturelle Identität zu pflegen." Daraus schließt die AfD, dass deutsche Identität auch das Resultat der deutschen Kunst sei, vor allem der Bühnenkunst. In den Theatern würde aber "bestenfalls noch nichtssagende Unterhaltung, Abseitiges oder Internationales ohne Bezug zu unserem Land gezeigt."
Ungarns Premier Viktor Orbán | Bildquelle: dpa-Bildfunk
Die Kunstfreiheit im Grundgesetz ist aus Sicht der AfD "kein Anspruch, jeden Schund gefördert zu bekommen". Deshalb will die AfD in Sachsen-Anhalt nur noch solche Kunst fördern, die der deutschen Kultur bejahend gegenübersteht. Hierfür sei man auch bereit, "massive Einschnitte" zu vertreten. Die AfD will etwa die Landesförderung für die Theater "mindestens halbieren". Staatsgeld für "antideutsche" Kunst und Kultur soll es nicht geben. Wo es hingehen soll, macht dann dieser Satz deutlich: "In dieser Hinsicht ist uns die kulturpolitische Wende, die Ungarn unter Viktor Orbán vollzieht, Vorbild und Inspiration."
Die anderen Parteien in Sachsen-Anhalt reagieren auf das AfD-Programm in Sachen Kultur nicht direkt. Die Wahlprogramme der Parteien, die jetzt im Landtag sind – neben der AfD sind das die CDU, die SPD, die Grünen und die Linken –, spielen gewissermaßen über Bande und thematisieren lieber den Rechtspopulismus. Sie setzen auf kulturelle Bildung, es geht um Demokratiefähigkeit, und auch um sogenannte "Dritte Orte". Dieser Begriff meint beispielsweise Kulturhäuser, die es in der DDR in vielen – auch kleinen – Städten gab. Nach der Wende wurden viele Kulturhäuser geschlossen, beziehungsweise abgewickelt. Ein paar existieren bis heute und werden angesichts der Situation nun als öffentliche Kommunikationsräume herbeigesehnt, in denen vom Dia-Abend bis zum Theatergastspiel alles Mögliche stattfinden kann. Diese "Dritten Orte" sollen nach dem Willen der anderen Parteien als Orte der kulturellen Bildung gestärkt werden. Übrigens: "Heimat" und "Identität" – diese Begriffe hat die AfD nicht exklusiv gepachtet. Die SPD in Sachsen-Anhalt spricht in ihrem Wahlprogramm von "Beheimatung", und auch die Grünen erwähnen explizit eine "Landesidentität", die durch thematische Landesausstellungen geschaffen werden könne.
Die letzte Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war 2016. Wenn man die Programme der AfD von damals und heute mit Blick auf die Kultur vergleicht, kann man ablesen, dass die AfD in Sachen Kulturpolitik radikaler geworden ist. 2016 hat die AfD die Kultur bereits in der Präambel zum Programm erwähnt, sprach dort vom Stolz auf die Merseburger Zaubersprüche, auf das Römisch Deutsche Kaiserreich mit seinem Zentrum in Magdeburg in der Zeit der Ottonen, dann auch von der Reformation, die von Wittenberg ausging, und weiterhin von der Altmark als der Wiege Preußens – alles Orte im heutigen Sachsen-Anhalt. Auf die kulturelle Tradition wurde also schon vor fünf Jahren im AfD-Programm Wert gelegt. Was 2016 aber noch mehr Idee und Appell war, ist jetzt radikaler gedacht. Dass man den Theatern den Geldhahn zudrehen will, dass man Viktor Orbán als Vorbild sieht, das sind radikale Positionen, mit denen sich die AfD gegen gültige Spielregeln und Werte hierzulande und auch in Europa stellt.
Von Richard Wagners Kulturbegriff kann die Afd lernen. | Bildquelle: picture alliance/Mary Evans Picture Library
Das Kulturverständnis, das die AfD in ihrem Programm an den Tag legt, erinnert ans 19. Jahrhundert, weil es eine nationale Identität behauptet und gegen das Fremde, Andere abgrenzt. Wenn man aber genau hinschaut, dann sind die Säulenheiligen dieser Zeit, zum Beispiel Richard Wagner, zu Unrecht vereinnahmt. in den "Meistersingern von Nürnberg", am Ende des letzten Aktes, beschwört Hans Sachs die "heil'ge deutsche Kunst" als identitätsstiftende Kultur, scheinbar ganz im Sinne der AfD. Gleichzeitig aber zeigt sich Sachs einer neuen Kunst gegenüber aufgeschlossen, die ein Ritter, der von außen kommt, gegen die geltenden Regeln einbringt. "Es klang so alt und war doch so neu, wie Vogelsang im süßen Mai!", singt Sachs und fordert, dass man einmal im Jahr die Regeln außer Kraft setzen und sich offen für Neues zeigen solle. Bei Richard Wagner ist die "heil'ge deutschen Kunst" also eine Kunst, die auch neuen und fremden Klängen einen Raum gibt, um am Ende durch Gewohnheit nicht Kraft und Leben zu verlieren.
Sendung: "Allegro" am 4. Juni ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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