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Hector Berlióz Les Nuits d'été

Der Titel ist irreführend. Keine lauen Sommernächte beschwört Hector Berlióz in seinem Liederzyklus Les nuits d’été herauf. Er schildert düstere Nächte voller Schwermut und Melancholie, Nächte der verlorenen Liebe, Nächte des Todes, schauerliche Nächte am Grab der verstorbenen Geliebten. Florian Heurich geht zusammen mit der Sopranistin Véronique Gens diesem und anderen vermeintlichen Widersprüchen auf den Grund und zeigt, wo sich in "Les Nuits d'été" vielleicht doch ein Stück Sommer verbirgt.

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Das Starke Stück

Berlióz - Les Nuits d'été

Der Titel kann als Anspielung auf den "Sommernachtstraum" gelesen werden. Berlióz ist ein großer Shakespeare-Verehrer und heiratet sogar die englische Shakespeare-Darstellerin Harriet Smithson. Der Zeitpunkt der Komposition von "Les nuits d’été" fällt zusammen mit dem Scheitern der Ehe. Und obwohl der Berlióz selbst vieles im Unklaren lässt über die Bedeutung des Titels und die Entstehung dieser sechs Lieder, hat sie die Nachwelt als das künstlerische Zu-Grabe-Tragen seiner einstmals glühenden Liebe zu Harriet gedeutet.

Die Texte entnimmt Berlióz der Gedichtsammlung "La comédie de la mort - Die Komödie des Todes" seines Freundes Théophile Gautier - auch dieser Titel schon ein Widerspruch in sich. Es sind hochromantische Schilderungen eines gequälten Geistes voll von dunklem Pathos.

"Der Zyklus ist wie eine lange Klage, wie ein langes Lamento über die Liebe, insbesondere über die traurigen Seiten der Liebe. Einzig das erste und das letzte Lied sind ein bisschen fröhlicher und optimistischer. Die einzelnen Stücke hängen aber nicht zusammen. Jedes ist wie eine eigene kleine Oper", so Véronique Gens.

Orchestrierte Klavierlieder

Es waren ursprünglich Klavierlieder, die Berlióz später orchestriert. Widmungsträger sind sechs verschiedene Sängerinnen und Sänger, und jedes Lied ist für eine andere Stimmlage konzipiert. Erst mit der Zeit wird es für zyklische Aufführungen Usus, dass sie nur von einer Sängerin gesungen werden. "Absence" etwa ist der Mezzosopranistin Marie Recio gewidmet, Berlióz‘ zweiter Frau, mit der er bereits während der Ehe mit Harriet Smithson liiert ist: Die musikalische Verabschiedung der früheren Liebe ist also zugleich das neue Erwachen der Gefühle für eine andere.

Véronique Gens | Bildquelle: Marc Ribes/Virgin Classics Véronique Gens | Bildquelle: Marc Ribes/Virgin Classics "Durch dunkle, fast schwarze Klangfarben schafft Berlióz diese tragische Atmosphäre. Und durch große, lange Phrasen. Für die Sänger ist das die Hölle, weil so etwas immer sehr schwierig zu singen ist, gerade auf Französisch. Aber die Texte sind phantastisch. In diesen traurigen, schwarzen Texten gibt es kaum Farbe und Licht." Véronique Gens

Am Anfang jedoch steht ein Tanzlied, das den Frühling preist in schwebenden Achtel-Staccati: "Villanelle". Es gleicht einem Volkslied, ist sehr leicht mit ihren drei Strophen, mit drei Mal fast genau derselben Melodie.

Das zweite Lied, "Le spectre de la rose", ist die Traumerzählung einer Blume, die am Busen einer Frau verwelkt ist - ein leidenschaftlicher Aufschwung, in dem eine subtile Erotik mitschwingt. Für Véronique Gens einer der berührendsten Momente des ganzen Zyklus‘. "Das bekannteste Lied, in dem man sich auch als Sänger am besten präsentieren kann, ist ohne Zweifel 'Le spectre de la rose'. [...] Das ist wirklich dieser ganz große, traurige Gesang. Und trotz aller Trauer schwingt am Ende auch ein bisschen Hoffnung mit und es wird etwas optimistischer."

Auf den schwärmerischen Traum folgen eine fahle Totenklage in "Sur les lagunes", das von trügerischer Hoffnung erfüllte Herbeisehnen der fernen Geliebten in "Absence" und das geisterhafte Nachtstück "Au cimetière". Einzig der sanft schwingende Barkarolen-Rhythmus des letzten Liedes - "L’ile inconnu" - suggeriert, dass alles Vorhergehende nur ein Traum gewesen sein könnte.

Gattung des Orchesterliedes

Mit "Les Nuits d’été" begründet Berlióz Mitte des 19. Jahrhunderts die Gattung des Orchesterliedes, die in den Jahrzehnten danach immer populärer werden soll. Eine zyklische Aufführung dieser sechs Lieder, die zwischen schmerzhafter Vergangenheitsbewältigung und Aufbruch in eine Zukunft voller Tatendrang schwanken, findet zu Lebzeiten des Komponisten jedoch nicht mehr statt. Ein weiteres der zahlreichen bislang ungelösten Rätsel um die Entstehung von "Les Nuits d’été".

Musik-Info

Hector Berlióz: Les Nuits d'été

Véronique Gens, Sopran
Orchestre National des Pays de la Loire
Leitung: John Axelrod

Label: Ondine

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