Schon in jungen Jahren hält Jacques Ibert nichts von Fingerübungen am Klavier oder an der Geige und improvisiert lieber frei. Diesen Freigeist spürt man auch in seinem rasanten Flötenkonzert. Julika Jahnke stellt das starke Stück mit der Soloflötistin Gaby Pas-Van Riet vor.
Bildquelle: Romain Goldron: "Die Musik unserer Zeit", Lausanne 1966
"Im ersten Satz weiß man musikalisch nicht, wo das hinführt. Das sind Sprünge von Ochs nach Hase. Man fragt sich: was tut er da? Ist das ein Mozartkonzert aber à la modern? Es ist sehr schwer, das in den Kopf zu kriegen und zu spielen. Es ist von dem Flötisten auch gefordert, wie eine Rakete loszuschießen. Das ist nicht typisch französisch, oder?" (Gaby Pas-Van Riet)
Gaby Pas-Van Riet, Soloflötistin des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart | Bildquelle: Gaby Pas-Van Riet Jacques Ibert schrieb sein Flötenkonzert im Jahr 1934. Und von einem wollte er in dieser Zeit überhaupt nichts wissen: Von der damaligen Avantgarde, mit ihrer Zwölftonmusik und dem Bemühen, möglichst "atonal" zu schreiben – also gar nichts mehr vom traditionellen Dur-Moll-Tonsystem zu bewahren. Für Ibert waren das nur wieder neue Regeln, und er wollte sich auch von denen nicht einengen lassen. Wenn er komponierte, folgte er am liebsten seiner eigenen Vorstellungskraft und Fantasie. Im ersten Satz hört sich das dann so an, als sei die Welt aus den Fugen geraten. Rhythmisch und harmonisch findet das Ohr hier keinen Halt. Eine Herausforderung für die Musiker.
"Es ist auch für Orchester sehr schwer. Die ersten Geigen müssen üben wie die Verrückten, um das hinzukriegen. Um das auch rhythmisch untereinander hinzukriegen, das ist wirklich schwer. Es wechselt auch dauernd von 2/4-Takt in 3/8Takt, und die Achtel müssen ganz korrekt durchlaufen, sonst klappt das überhaupt nicht." (Gaby Pas-Van Riet)
Für Gaby Pas-Van Riet war es etwas ganz besonderes, dass sie hier nun einmal als Solistin vor "ihrem" Orchester stand. Dieses Konzert hat sie aber schon im Alter von 14 Jahren aufgeführt – damals als Preisträgerin, zusammen mit dem Radio-Orchester Brüssel. Und bis heute ist sie von diesem Werk begeistert.
Bildquelle: Gaby Pas-Van Riet Es sei halt so toll geschrieben, sagt sie. Es gebe die große Virtuosität, auch Staccato und 16tel ohne Ende und ein bisschen martialische Sachen und daneben gesetzt lyrische, sehr farbliche Sachen. Der zweite Satz ist wie eine Oase der Ruhe – eingerahmt von den sehr lebendigen Ecksätzen. Nach dem ersten Satz ist das ein plötzlicher Schwenk in eine ganz andersartige Sphäre. Aber das ist der Solistin noch nie schwergefallen.
"Der zweite Satz ist wunderschön, ein bisschen Jazz und die Harmonien. (...) Die Flöte kann bei den Holzbläsern sowieso in der farbigsten Palette spielen. Wir können spielen wie Oboe, wir können die Klarinette nachmachen, wir können echt Saxophon spielen (...) und das kann man mit dem langsamen Satz sehr schön zeigen." (Gaby Pas-Van Riet)
Ibert nahm Jazzeinflüsse in sein Werk auf. Aber er interessierte sich auch für die Musik der Renaissance und des Barock. Das merkt man diesem Konzert an: Es ist in nur in drei Sätzen angelegt. Und die erinnern in ihrer Anmutung sehr an die barocken Tänze "Allemande – Sarabande – und Gigue". Der letzte Satz des Flötenkonzertes gleicht sehr dem barocken Sprungtanz – der Gigue – oder auch einem Saltarello. Er verblüfft schon gleich zu Beginn mit einer ungeheuren Spannkraft. In unregelmäßigen Staccato-Akkorden platzt er los und ist darin unberechenbar und dynamisch wie eine Gigue.
Bei der Uraufführung im Jahr 1934 erregte dieser Finalsatz sehr viel Aufmerksamkeit. Er wurde noch im gleichen Jahr zum Wettbewerbsstück am Pariser Konservatorium bestimmt. Denn an diesen technischen Hürden erweist sich, wer ein wahrer Virtuose ist.
"Ja, das ist von der Fingertechnik her schwer. Das sind auch Melodien, die man selber begleitet. Das heißt: Der erste Ton ist ein Melodieton und dann kommt schnell der zweite Ton als Begleitung.. Es ist eigentlich eine Zweistimmigkeit, die rauskommen muss. Höchst virtuos und eigentlich klingt es sehr einfach. Aber es ist sehr schwer, was die Fingertechnik angeht." (Gaby Pas-Van Riet)
Gewidmet hat Ibert dieses Konzert Marcel Moyse, einem der berühmtesten Flötisten des 20. Jahrhunderts. Er war Solo-Flötist an der Opéra Comique, und hat in seinem langen Leben viel dazu beigetragen, dass die Querflöte in Frankreich und den USA wieder populär wurde. Dass Ibert hier so einen hohen Schwierigkeitsgrad wählt, zeigt letztendlich auch, wieviel Moyse auf seinem Instrument vermochte, einmal technisch, aber auch was den Ausdruck betrifft. Auch im Schlusssatz des Konzertes zählen nicht nur Tempo und Virtuosität.
"Und es endet dann mit einer Kadenz, die nicht ohne ist, weil das Konzert, schon 20 Minuten geht. Das Schwerste ist die Kondition. Dass die schwersten Sachen zum Schluss kommen und man dann einfach noch die Kraft hat, damit es ein brillantes Finale gibt. Es ist auch eine sportliche Leistung." (Gaby Pas-Van Riet)
Jacques Ibert: Flötenkonzert
Gaby Pas-Van Riet, Flöte
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Stéphane Denève, Leitung