Der französische Komponist Edouard Lalo konnte zu Lebzeiten nur einen einzigen großen Erfolg verbuchen: seine "Symphonie espagnole" für Violine und Orchester. Seit der Pariser Uraufführung ist sie sowohl bei Geigern als auch beim Publikum sehr beliebt. Julia Smilga stellt das Werk zusammen mit dem Violinisten Vadim Repin vor.
Bildquelle: Leon Joliot
Das starke Stück zum Anhören
Für den russischen Geiger Vadim Repin ist die "Symphonie espagnole" von Edouard Lalo sein Lieblingswerk. Er hat es oft im Konzert gespielt und auch auf CD aufgenommen. "Im Geigenrepertoire gibt es einige virtuose Werke. Aber Stücke, bei denen sich hohe Virtuosität mit hervorragender Musik vereint, gibt es eher selten", sagt Repin. "Und genau ein solches Stück ist die Symphonie espagnole von Lalo. Es ist emotionale Musik, vielleicht auch unterhaltende Musik – aber sie erfordert vom Geiger eine enorme Vorbereitung. Denn allein von der Anzahl der Noten her wäre das Werk sicher auf Platz eins." Mag es Zufall sein oder ein Wink des Schicksals: Bei dieser Aufnahme spielt Vadim Repin auf der selben Stradivari mit dem Namen "Ruby", auf der der große Geiger Pablo de Sarasate das Werk in Paris uraufgeführt hat.
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Pablo de Sarasate | Bildquelle: picture-alliance/dpa Paris, 07 Februar 1875. Der 52-jährige Edouard Lalo ist aufgeregt. Heute Abend wird bei der "Societe National" - einer Fördergesellschaft für neue französische Musik - seine "Symphonie Espagnol" uraufgeführt. Wird das Werk sein langersehnter Erfolg? Trotz seiner 52 Jahre und einer beachtlichen Anzahl von Kompositionen ist Edouard Lalo kein bekannter Komponist in Frankreich. Oft grübelt er, ob sein Vater vielleicht doch Recht hatte, als er seiner Berufswahl ablehnend gegenüber stand. Offizier sollte der junge Edouard werden, wie alle Männer in seiner Familie. Als der Sohn sich jedoch der Musik zuwandte und nach Paris zog, um am dortigen Konservatorium Geige und Komposition zu studieren, strich der Vater jegliche Unterstützung. Fortan musste sich Lalo seinen Lebensunterhalt als Geiger und Geigenlehrer verdienen. Mit seinen frühen Kompositionen, hauptsächlich Kammermusikwerken, hatte er wenig Erfolg. Erst in den 1870er Jahren gelang es ihm, als Komponist auf sich aufmerksam zu machen. Eine große Rolle spielte dabei die Bekanntschaft und jahrelange Freundschaft mit dem spanischen Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate, für den Größen wie Max Bruch oder Camille Saint-Saëns Werke schrieben. 1875 wurde Edouard Lalos Erstes Violinkonzert von Sarasate aufgeführt – Lalos erster nennenswerter Erfolg. Zwei Dinge wusste Lalo sofort: Das nächste Konzert würde er Sarasate widmen, seinem Glücksbringer. Und es würde "Symphonie espagnole" heißen!
Die Wahl der spanischen Thematik war bei Lalo keinesfalls zufällig. Erstens sollte das Stück von Sarasate gespielt werden, einem Vollblut-Spanier. Sarasate hatte ihn auch zu den meisten Hispanismen in der Partitur inspiriert. Zweitens floss auch in Lalos Adern spanisches Blut. Seine Mutter, eine geborene Wacquez, konnte ihren Stammbaum über mehrere Generationen spanischer Offiziere zurückverfolgen. Auch äußerlich ähnelte Lalo einem stolzen kastilischen Edelmann: dunkle Haut, schwarze Augen und feine Gesichtszüge. Und drittens war Spanien in Frankreich damals "in". Fast gleichzeitig mit der Symphonie espagnole wurde in Paris Bizets "Carmen" uraufgeführt.
Es ist ein ungewöhnliches Konzert, weil es eigentlich eine Symphonie ist.
Der Geiger Vadim Repin | Bildquelle: Gela Megredlidze Der Titel "Symphonie espagnole für Violine und Orchester" sagt alles über den Charakter des Werks und seine Form: Es ist eine höchst originelle Mischung aus Symphonie, Solokonzert und iberisch-folkloristischer Stimmung. Das Charakterstück ist, den außergewöhnlichen geigerischen Fähigkeiten des Widmungsträgers entsprechend, in höchstem Maß effektvoll und virtuos, wie Vadim Repin betont: "Es ist ein ungewöhnliches Konzert, weil es eigentlich eine Symphonie ist. Und diese besteht aus fünf Sätzen. Zwei davon heißen 'Intermezzo', das bedeutet Erholungspause. Der vierte Teil ist eine sehr emotionale Passacaglia. Es klingt wie ein Trauerzug, eine unglaublich tragische Musik und doch mit Elementen von Hoffnung. Gerade diese Stimmungsmischung berührt mich sehr."
Die Uraufführung der "Symphonie espagnole" im Jahr 1875 war ein grandioser Erfolg. Die verwöhnten Pariser Zuhörer liebten sofort die frischen funkelnden Melodien. Dieses Werk wurde das erste prominente Beispiel für die Spanien-Begeisterung in Frankreich, deren Tradition sich fortsetzen sollte über Chabriers populäre Orchesterrhapsodie "España" bis zu Debussys "Iberia" und Ravels "Rapsodie espagnole". Obwohl Edouard Lalo noch zwei weitere Violinkonzerte, ein Cellokonzert, das Ballett "Namouna" und die Oper "Le Roi d'Ys" komponierte, haben diese Werke nie den Popularitätsgrad seiner "Symphonie espagnole" erreicht.
Edouard Lalo:
Symphonie espagnole für Violine und Orchester d-Moll, op. 21
Vadim Repin (Violine)
London Symphonie Orchestra
Leitung: Kent Nagano
Label: Erato
Sendung: "Das starke Stück" am 28. September 2021, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK